Gastkommentar von Christian von Hirschhausen
Wie beurteilen Sie den Vorschlag der Übertragungsnetzbetreiber, die Lebensdauer der Braunkohlewerke an die Genehmigungsdauer des Tagebaus zu koppeln?“ Die Frage auf Seite 7 des Begleitdokuments der Bundesnetzagentur zur Konsultation des Szenariorahmens 2025 – einem mit der Energiewirtschaft abgestimmten Fahrplan des Kraftwerksausbaus für die nächsten zwei Jahrzehnte als Grundlage des Stromnetzentwicklungsplans – kommt so unschuldig daher. Und eigentlich ist die Antwort auch klar: „Theoretisch eine gute Idee.“ Die Tagebaue sowohl in der Lausitz als auch in Mitteldeutschland reichen nach heutigem Stand bis in die 2030er, der Aufschluss neuer Tagebaue ist nicht notwendig, in NRW, wo gerade Ausstiegsszenarien gewälzt werden, erst recht nicht. Also klarer Fall: Tagebaue reichen aus, Braunkohle läuft aus, Energiewende auf einem guten Wege.
Prof. Dr. Christian von Hirschhausen ist Forschungsprofessor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.
Bei genauerer Analyse des Szenariorahmens wird jedoch deutlich, dass die dort skizzierten Entwicklungen keineswegs auf die Ziele der Energiewende, unter anderem in Bezug auf [[CO2]]-Reduktion und Umstieg auf Erneuerbare ausgerichtet sind, sondern diesen konträr gegenüberstehen: Wer bisher immer noch dachte, der Stromnetzausbau, insbesondere die neu eingeführten Stromautobahnen, sollten tatsächlich vor allem der Energiewende und den Erneuerbaren dienen, ist spätestens mit diesem Szenariorahmen der Stromnetzbetreiber dieser Illusion beraubt: Dort wird im Verhältnis zu früheren Dokumenten eine drastische Steigerung des Anteils der Braunkohleverstromung vorgeschlagen: Nicht nur geht deren prognostizierte Leistung im mittleren Szenario um 4.000 MW hoch, von 15,4 GW immerhin über 25 Prozent; darüber hinaus wird die Lebensdauer von Braunkohlekraftwerken an die Genehmigung der dazu gehörigen Braunkohletagebaue geknüpft und somit – angesichts der Braunkohlepolitik der Länder – für die nächsten 60 bis 80 Jahre festgeschrieben.
Der Entwurf des Szenariorahmens widerspricht somit eklatant der bisher gepflegten Rhetorik, Netzausbau solle den Erneuerbaren dienen; er widerspricht auch aktuellen Bemühungen der Bundesregierung, welche gerade ein Sofortprogramm zur Einhaltung der Klimaziele für 2020 und 2030 auf den Weg bringt; eine der kostengünstigsten Maßnahmen ist die schrittweise Schließung älterer Kohlekraftwerke. Einige der Übertragungsnetzbetreiber führen auch die im Frühjahr gemachte Ankündigung ad absurdum, die Ausbaupläne insbesondere der Stromautobahnen aus den Braunkohlegebieten in NRW beziehungsweise den östlichen Bundesländern nach Süddeutschland einer ernsthaften Prüfung zu unterziehen.
Statt dessen wird durch das Dokument ein Teufelskreis in Gang gesetzt: Führt doch die Bindung der Kraftwerke an die Laufzeiten der Tagebaue zu einer Absatzgarantie für die entsprechenden Braunkohlekraftwerke, für die von den Netzbetreibern dann entsprechende Kapazitäten an Stromautobahnen vorgehalten werden müssen … Damit wird implizit auch eine Begründung für die Zerstörung dutzender Dörfer und die Umsiedlung von Tausenden von Menschen in den betroffenen Tagebauregionen geliefert – ein in einem wohlhabenden Industrieland des 21. Jahrhunderts schwer nachzuvollziehender Vorgang.
Honni soit qui mal y pense? Der aktuelle Szenariorahmen hat wenigstens den Vorteil, dass er die Prämissen des Netzausbaus klarstellt. Bisher ging der Zusammenhang zwischen HGÜ-Autobahnen und dem Braunkohleausbau nur aus Planungsunterlagen der Braunkohlewirtschaft hervor beziehungsweise wurde von der Landespolitik formuliert. Nun können sich aber weder die Bundesnetzagentur noch das Bundeswirtschaftsministerium und andere öffentliche Entscheidungsträger vor der Frage drücken, wie sie es mit den Zielen der Energiewende, insbesondere dem CO2-Reduktionsziel, halten. Diesbezüglich hat sich der Wind in der öffentlichen Diskussion gewendet, ein Kohleausstieg wird inzwischen in allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen als durchaus vorstellbar betrachtet; über entsprechende Instrumente wird zeitnah diskutiert. Es wird höchste Zeit, dass sich dies auch in der Netzplanung für Stromautobahnen widerspiegelt.
->Quelle: diw.de – Illustration: Solarify