Klimadebatte „Total falsche Antworten“
Fritz Vahrenholt irrt: Der Klimawandel ist real.
Wir sind keine Klimaforscher. Wir werden deshalb nicht die These kommentieren, der gegenwärtige Kaltzyklus der Sonne lasse die Erderwärmung pausieren, wie Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning behaupten ( ZEIT Nr. 10/12). Uns beschäftigt die politische Folgerung, dass wegen der kalten Sonne auch der Klimaschutz Pause machen soll. Für eine solche Folgerung ist nicht nur der Zeitraum der Beobachtung zu kurz. Das Auf und Ab von Temperaturverläufen ist zu normal, und obendrein sind extreme Wetterverhältnisse zu häufig. Der seriösen Klimawissenschaft ist all das nicht neu. Dass die vom Menschen gemachten Treibhausgase dem Klima schaden, ist unwidersprochen. Obwohl sich die Erde seit einigen Jahren nicht mehr wie zunächst prognostiziert erwärmt, ist der Klimawandel nicht gestoppt.
Trotzdem werfen Vahrenholt und Lüning dem Weltklimarat, also einer ganzen Gruppe von Menschen, die vorsätzliche und böswillige Manipulation von wissenschaftlichen Daten und Ergebnissen zum eigenen, niederen Vorteil vor. Als Spitzenmanager im Energiekonzern RWE ist Vahrenholt natürlich selbst nicht frei von eigenen Interessen. Aber dieser einfache Gegenvorwurf ist uns zu billig.
Was steckt hinter dem Pauschalvorwurf von Vahrenholt und Lüning? Er ist kollektiv und anonym und nährt deshalb eine Verschwörungstheorie, die sich gegen Kritik immunisiert. Er kennt nur den Verdacht, nicht die Vergewisserung. Ein solch mutmaßender und nicht mit Beweisen vorgetragener Kollektivvorwurf ist von einer perfiden Wirkung. Er vergiftet die Atmosphäre. Wer so argumentiert, will nicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung. Er blockiert den wissenschaftlichen Disput und das Ziel, den Stand des Wissens weiterzuentwickeln.
Wir kennen das aus der deutschen Energiepolitik, die lange Zeit von einem fast ausschließlich taktischen Umgang mit Wahrheit und Wissen geprägt war. Erst die Ethikkommission Sichere Energieversorgung setzte dem ein Ende. Ihre Empfehlungen verbinden die Rationalität von Argumenten mit Werthaltungen zu den Grundfragen der Zeit. An diesen Standard der Diskussionskultur knüpfen Vahrenholt und Lüning nicht an. Zugegeben, die Beschwörung eines wissenschaftlichen Konsenses lädt Klimaskeptiker geradezu ein, Verschwörungstheorien zu entwickeln. Denn grundsätzlich wird Wissenschaft nicht durch konsensuale Bestätigung, sondern durch das Widerlegen einer vermeintlichen »Wahrheit« vorangetrieben. Ein Konsens lässt sich auch über sachlich Falsches herstellen, er kann trügerisch sein.Deshalb ist für uns Fritz Vahrenholt nicht einfach ein »Störenfritze«. Aber zur Skepsis gehört mehr, als er liefert. Der Sonnenzyklus verordne der Erderwärmung eine Pause, die Energiewende nach Fukushima sei deshalb ein Irrweg – das ist die politische Quintessenz des Vahrenholtschen Angriffs auf die Klimawissenschaft. Vorerst, lautet seine Botschaft, könnten Kohle, Öl und Gas einfach weiter genutzt werden. Und natürlich die Atomkraft.
Man reibt sich die Augen. Soll die wachsende Weltbevölkerung für ihre wachsenden Ansprüche an Konsum und Lebensstil wirklich mit wachsenden nuklearen Ewigkeitslasten büßen? Mit nicht eingrenzbaren nuklearen Havarie-Risiken, mit dem ungelösten Problem des sicheren Verbleibs wachsender Mengen von Strahlenmüll? Und wollen wir, trotz unseres begrenzten Wissens, wirklich die Emissionen von Treibhausgasen erhöhen und damit die Energiemenge in der Atmosphäre? Auch wenn wir noch lange nicht verstehen werden, wie genau diese Energie sich in Wind, Niederschlag, Kälte und Wärme umsetzt, ist doch schon jetzt mehr als klar, dass es definitiv keine gute Idee ist, die Atmosphäre mit einfach immer noch mehr Energie aufzuladen.
National allein können Programme wie die deutsche »Energiewende« den Klimawandel kaum bremsen, das stimmt. Und es stimmt auch, dass der internationale Klimaschutz in einer schwierigen Lage ist. Die Verhandlungen in Durban im Dezember vergangenen Jahres haben die Frage, ob es einen alle großen Emittenten umfassenden Klimavertrag wirklich geben soll, auf 2015 verschoben. Eine völkerrechtliche Regelung würde im besten Fall erst ab 2020 greifen. Bis dahin werden die Emissionen von Treibhausgasen dramatisch ansteigen, wenn nichts geschieht. Es muss etwas geschehen. Der Klimawandel darf nicht auf das Kohlendioxid-Problem verkürzt werden, Kohlendioxid nicht auf den Hauptemittenten fossile Kraftwerke, globaler Klimaschutz nicht auf ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen und die CO2-Minderung nicht auf den Emissionshandel.
Das Thema ist größer, und es gibt Alternativen für das Handeln: Die Verringerung von Methan, Ozon, Rußpartikeln und anderen kurzlebigen Klimatreibern bietet gute Chancen, mit schnell realisierbaren Maßnahmen kurzfristig das Klima zu entlasten – und Zeit zu kaufen, bis eine völkerrechtlich anspruchsvolle Klimastrategie auf internationaler Ebene verhandelt ist. Hieraus muss endlich eine Lehre gezogen werden. Wir müssen bei der Bereitschaft Chinas und anderer Staaten ansetzen, mit nationalen Maßnahmen dem Klimawandel entgegenzuwirken. China geht schon jetzt radikaler vor als Europa. Vahrenholt und Lüning lassen uns richtigerweise nach einem Plan B fragen. Aber sie geben total falsche Antworten. Die These von der kalten Sonne lässt uns kalt. Es bleibt nur die Aufforderung, Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Tatsachenbehauptungen einem Faktencheck zu unterziehen, Schlussfolgerungen zu ziehen, zu handeln und das handelnde Verändern zur neuen und fortgesetzten Herausforderung für die Schaffung von Wissen zu machen. Aber dieses Verdienst gilt in unvergleichbar höherem Maße der seriösen Klimawissenschaft und deren Infragestellen des fossilen Zeitalters.
Quelle – > DIE ZEIT, 15.3.2012 Nr. 12