Erklärung der Naturfreunde: Peak Oil ist jetzt!
Wir stehen am Beginn einer historischen Zäsur
Der Bundesvorsitzende der NaturFreunde Deutschlands Michael Müller und das für Umweltfragen zuständige Vorstandsmitglied Eckart Kuhlwein haben davor gewarnt, die steigenden Spritpreise zu einem populistischen Wettlauf um angebliche Entlastungen und kurzfristige Lösungen zu machen. Eckart Kuhlwein: „Wir erleben den Anfang vom Ende der fossilen Mobilität, das darf kein Tummelplatz für Populisten sein.“ Michael Müller forderte von Politik und Öffentlichkeit eine Debatte, wie wir schnell in ein postfossiles Zeitalter kommen: „Die offiziellen Prognosen der großen Ölkonzerne gehen von einer Reichweite von 42 Jahren aus. Das Heißt: Die Knappheit beginnt heute, die Zeit zum Umbau wird knapp.“
Tagtäglich wird über die Wut der Bürgerinnen und Bürger über die steigenden Kraftstoffpreise berichtet. Doch mehr als kurzfristige und kurzsichtige Antworten werden in Politik und Öffentlichkeit selten gegeben. Besonders peinlich ist es, wenn ausgerechnet der Bundesumweltminister eine höhere Pendlerpauschale fordert, statt mit einem sozial und ökologisch verträglichen Konzept auf die Herausforderung zu reagieren. Er macht den Bürgerinnen und Bürgern was vor, denn tatsächlich erleben wir eine historische Zäsur: Der Peak Oil, der Höhepunkt der wirtschaftlich vertretbaren Ölförderung, ist da. Das wird von den großen Ölkonzernen ausgenutzt, auch weil es keine Strategie „weg vom Öl“ gibt. Das Zeitalter des fossilen Verkehrs geht zu Ende. Alles andere ist Zweckoptimismus, der den Blick auf die Realitäten verstellt. Doch es werden immer mehr Vorstadtpanzer von BMW, Audi oder Daimler-Benz gekauft.
Die Schwachstelle aller Industriegesellschaften ist ihre Abhängigkeit von fossilen Energien. Obwohl die Gefahren bekannt sind, kommt es nicht zu einem konsequenten Umstieg. Stattdessen werden Lagerstätten in riskanten Regionen angezapft, verbunden mit gewaltigen Problemen und großen ökologischen Gefahren. Das Desaster im letzten Jahr im Golf von Mexiko entsprang der puren Not, den Produktionsrückgang auf den alten Ölfeldern durch immer riskantere Fördermethoden auszugleichen. Es war die bisher härteste Warnung, endlich die Grenzen des Wachstums zu beachten.
US-Präsident Jimmy Carter wollte bereits Ende der 1970er-Jahre seinem Öl süchtigen Land, in dem billige Kraftstoffe und große Autos zum alltäglichen Lebensgefühl gehören, eine Entziehungskur verordnen. Mit einem nationalen Energieprogramm sollten die Importe auf sechs Millionen Barrel täglich verringert werden. Carter scheiterte am Widerstand der sieben großen Ölkonzerne in seinem Land. 1979 unterzeichnete er die Direktive „Rapid Deployment Force“ zur Bildung einer mobilen Einsatztruppe für die Golfregion, um dort den Zugriff auf die Ölquellen zu sichern.
Das Weltreich des Verkehrs ist die Grundlage unserer Modernität. Es baut auf Öl auf. Doch seit 2005 ist das Plateau der Ölförderung erreicht, die Ergiebigkeit der großen Felder geht zurück. In den letzten 30 Jahren hat es an Land keine nennenswerten neuen Funde gegeben, sie sind nach Ansicht der Geologen auch nicht zu erwarten. Obwohl der Abbau von Teersanden, der im kanadischen Bundesstaat Alberta Mondlandschaften mit gewaltigen ökologischen Schäden hinterlässt, schon in die Fördermenge eingerechnet ist, konnte der Rückgang der Förderung aus den alten Ölfeldern nicht ausgeglichen werden. Der Höhepunkt wird nicht, wie die Ölkonzerne behaupten, erst in den nächsten Jahrzehnten erreicht, selbst wenn die Funde in der Arktis oder Tiefsee – wie vor der Küste Rio de Janeiros das Tupi-Ölfeld, das mit 7.000 Meter fast fünf mal tiefer liegt als Deepwater Horizon im Golf von Mexiko – tatsächlich erschlossen würden. Mit der Tiefe erhöht sich das Risiko exponentiell. Auch die Ölförderung im Kaukasus kommt nur langsam voran, immer neue Schwierigkeiten tun sich auf.
Das Endspiel des Ölzeitalters ist ein Umbruch, der mit der industriellen Revolution vergleichbar ist. Eine epochale Transformation, denn Öl war in den letzten sechs Jahrzehnten der Treiber, der die Entwicklung der Wirtschaft, das Bild unserer Städte und die Lebensgewohnheiten der Menschen geprägt hat. Öl wurde zur Geschäftsgrundlage der Moderne. Und das immer mehr auch aus Tiefseeregionen, die Ende des Jahrzehnts schon zehn Prozent der globalen Ölversorgung abdecken sollen. Nach üblichen Maßstäben dürften dort Bohranträge nicht genehmigt werden. Doch das Tina-Syndrom – there is no alternative – begründet den Wettlauf der Besessenen.
Wir stehen am Anfang vom Ende des fossilen Zeitalters, nicht erst dann, wenn der „letzte Tropfen Öl“ verbraucht ist, sondern wenn die wachsende Nachfrage nicht mehr durch ein steigendes Förderangebot befriedigt werden kann. Auf dem Gipfel angelangt, ist das Spiel vorbei. Der Abstieg beginnt. Für das Klima ist das gut, aber die Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft sind darauf nicht vorbereitet. In Kürze werden eine Milliarde Fahrzeuge unterwegs sein. In Deutschland kommen heute 560 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner, in China sind es nicht einmal 25 Autos. Im bevölkerungsreichsten Land der Erde kommen jährlich 10 Millionen Fahrzeuge dazu, das sind doppelt so viele, wie in Deutschland produziert werden. In den letzten fünf Jahren betrug das Wachstum knapp 50 Prozent.
Die Zeit für ein Umsteuern wird knapp, aber in unserem Land beruhen der Bundesverkehrswegeplan, das Nationale Hafenkonzept für die See- und Binnenhäfen oder das Flughafenkonzept der Bundesregierung noch immer auf der Annahme, dass billiges Öl weiterhin reichlich vorhanden ist. Es geht aber um weit mehr als den Austausch der Brennstoffe. Der fossil angetriebene Verkehr ist genau so systemrelevant wie die Finanzwirtschaft. Es gibt keine einfache Bail-out Möglichkeit mit Abwrackprämien. Womit soll der Schiffsverkehr, das Rückgrat der internationalen Arbeitsteilung, angetrieben werden? Womit der Güterflugverkehr und der Güterfernverkehr auf den Straßen?
Lösungen, die es bereits gibt, werden aber noch immer kaum genutzt, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Flottenverbrauchsregelungen oder Pedelecs und E-Scooters, die sofort weniger Ölverbrauch und geringere CO2-Emissionen bedeuteten. Oder im Schiffsverkehr: In wenigen Monaten wäre es möglich, durch eine Senkung der Geschwindigkeiten von etwa 24 auf 19 Knoten Treibstoffeinsparungen von 30 bis 50 Prozent zu erzielen. Moderne Formen der Windenergie, mit der die Beluga experimentiert, sind hier zukunftsweisend.
Der Abschied vom fossilen Verkehr steht an. Das Umsteuern zu einer postfossilen Mobilität ist überfällig. Das ist mehr als die lautstark propagierten, auf Technik fixierten Lösungen. Die postfossile Mobilität geht vom Menschen aus. Zufußgehen wird nicht länger Restverkehr sein, wie in der Gedankenwelt fossiler Verkehrsplanung, sondern eine tragende Säule der Körperkraftmobilität. Fahrradfahren, das erste moderne postfossile Fortbewegungsmittel, steht erst am Beginn seines Aufstiegs. In Kopenhagen, eine Stadt mit höchster Lebensqualität, ist das Fahrrad das Rückgrat des Alltagsverkehrs. „Langsamverkehr“ wird in der Schweiz zur dritten Säule der Verkehrspolitik neben dem motorisierten Individualverkehr und dem öffentlichen Verkehr. Dafür brauchen wir ein gigantisches ökologisches Zukunftsprogramm, das die verschwenderischen, ineffizienten Raum- und Siedlungsstrukturen umbaut und die Arbeitsteilung neu ordnet. 11.04.2012
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