Die Chemie als strategischer Wegbereiter in der Energiewende

Der größte „Verbraucher“ primärer Energie sind die Verluste der Energieumwandlung (1300 TWh in 2007) die man zum durch Kernkraft erzeugten Strom (160 TWh in 2007) in Relation setzen kann. Auch wenn viele dieser Verluste unvermeidlich sind so gibt es doch noch erheblichen Spielraum für Verbesserungen. Es ist offensichtlich, dass die Chemie hier an vielen Stellen etwas zum Besseren bewirken kann. Allerdings muss die Chemie mit allen Wissenschaften, die am komplexen Netzwerk der Energiewandlung beteiligt sind, zusammenwirken. Wissenschaft alleine spart keine Energie, alle ihre Ergebnisse bedürfen der wirtschaftlichen Umsetzung und gesellschaftlicher Akzeptanz womit sich weitere große Handlungsfelder für Forschung und vor allem die Umsetzung auftun.

Die Verwendung von Erdgas an Stelle von nuklearen Energieträgern ist unter Emissionsgesichtspunkten und wegen der exzellenten Regelbarkeit entsprechender Kraftwerke eine bevorzugte Option. Der hohe Gehalt an Wasserstoff, die vielfältige fossile Verfügbarkeit, regenerative Erzeugbarkeit und der Plattformcharakter für Speicherung und Transport machen Methan zum prototypischen günstigen Energieträger. Aus den Bruttogleichungen der Verbrennung

 C+O2 ® CO2 + 394 kJ/mol

CH4 + 2 O2 ® CO2 + 2 H2O + 394 kJ/mol+ 572 kJ/mol

erkennen wir den Grund der Emissionsminderung bei der Verwendung von Erdgas als Energieträger. Obgleich die Verwendung zusätzlicher kohlenstoffhaltiger Energieträger für die Stromerzeugung problematisch ist, ist der Einsatz von Gas die relativ beste Lösung für den geforderten raschen Atomausstieg, da die später verfügbare Erzeugung von solarem Wasserstoff den nahtlosen Ersatz von fossilem durch „solares“ Methan ermöglicht. Dies ist umso wichtiger, da im Rahmen des nationalen Energiekonzeptes die Emissionsminderungen aus anderen Treibhausgasquellen nur bedingt möglich sein wird, da dort bereits sehr anspruchvolle Minderungsverpflichtungen gefordert sind.

Solarer Wasserstoff entsteht durch Spaltung von Wasser mit der in überschaubarer Zukunft am meisten verfügbaren regenerativen Energieform der primären Elektrizität aus Windkraft und Photovoltaik. Die stoffliche Speicherung dieser primären Energie ist ein Hauptziel der chemischen Energiewandlung. In geringen Mengen kann diese raum-zeitlich fluktuierende Energieform in Batterien[9] (stationär und durch e-Mobilität) und durch thermo-mechanische Speicher dem Verbrauch angepasst werden. Auf der Skala des nationalen Energiebedarfs und für saisonale Speicherung wird man allerdings Wasserstoff aus Wasserspaltung[10] verwenden müssen. Dieser Wasserstoff kann industriell direkt zurückgewandelt werden oder für Endanwendungen und zum Transport in andere molekulare „solare“ Energieträger[11] umgewandelt werden. Wir kennen zwar viele der notwendigen chemischen Prozesse, können sie aber bisher nicht auf den nötigen Größenskalen und mit der nötigen Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit betreiben. Zentrale chemische Herausforderungen sind neben dem Zwang zur Vermeidung seltener chemischer Elemente der unvermeidbare Wechsellastbetrieb von Prozessen, die mit heutigen Systemen sehr schnell zu Schädigungen der verwendeten Materialien führen.

Das gesamte Potenzial chemischer Energiewandlungsprozesse zur Verwertung solarer Energie ist in Abbildung 3 angedeutet. Man erkennt das Schema einer „Sonnenraffinerie“ in der Wasserstoff erzeugt und über einige Plattformmoleküle in eine Reihe von stofflichen Energieträgern überführt wird. Man erkennt gut den systemischen Ansatz der chemischen Energiekonversion sowie die vielen Alternativen zu einer „Wasserstoffwirtschaft“ die nicht angestrebt wird. Fast alle Endprodukte können mit heute existierenden Technologien gespeichert, verteilt und genutzt werden. Kreative Chemie erschließt sich mit Designermolekülen verbesserte Endanwendungen, wie russfreie Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren. Man erkennt allerdings auch aus Abbildung 3, dass ein sehr weites Feld der Chemie überspannt wird, wenn man alle nötigen Prozesse der Sonnenraffinerie auf den nötigen Skalen betreiben will. In erhöhtem Masse gilt das für spätere Generationen von solchen Raffinerien in denen eine direkte Stoffumwandlung durch photochemische Prozesse die Bildung von freiem Wasserstoff ersetzt. Die „künstliche Photosynthese“[12] ist trotz ihrer Eleganz und der enormen wissenschaftlichen Fortschritte in den vergangen  Jahrzehnten noch eine so große Herausforderung für die Chemie, dass in den kommenden Jahrzehnten keine unmittelbare Nutzung zu erwarten ist.

Jenseits der Anwendung regenerativer Energien ist Chemie unverzichtbar, wenn es um Strategien zur Einsparung von Energieträgern geht. Die zentrale Rolle maßgeschneiderter Materialien für zahllose Anwendungen und die daraus sich ergebende Bedeutung einer wissensbasierten Materialwissenschaft ist offensichtlich. Ebenso klar erkennbar ist die Bedeutung der Katalyse zur Optimierung von Stoff- und Energieeinsatz in industriellen Prozessen. Diese Forschungsziele werden seit langem und mit großem Erfolg[13] angestrebt, dennoch bestehen noch erhebliche Potenziale zur weiteren Einsparung von Energie. Die bisherige Geschichte dieser Forschungsrichtung zeigt uns, dass die Chemie als Wissenschaft sich noch erheblich weiter entwickeln muss und nicht als anwendungsbezogene Wissenschaft ihre ureigenen Fragestellungen vernachlässigen sollte. Die Wirksamkeit von Katalyseforschung ist immer noch begrenzt, da wir nicht über ein theoretisch begründetes allgemeines Konzept zur Vorhersage von Struktur-Funktionsbeziehungen verfügen. Daher können wir noch nicht die Katalyse als ein einheitliches Phänomen der chemischen Kinetik in den unterschiedlichen Teildisziplinen so verstehen, dass wir chemische Reaktionen maßgeschneidert auf ein Zielprodukt hin ablaufen lassen können. Die kurzfristigen Herausforderungen der Energiewende sollten uns nicht davon abhalten die erkennbaren Problembereiche breit gefächert anzugehen.  Es hat sich oft erwiesen, dass die wichtigsten Durchbrüche aus Grundlagenforschung hervorgehen, die nicht den allgemeinen Forschungsrichtungen folgte.