Kraftwerk Erde

DIE ERDE ÄHNELT EINER WÄRMEKRAFTMASCHINE

Wenn der Max-Planck-Forscher erklärt, wie er das Erdsystem im Großen versteht, drängt sich unweigerlich eine berühmte Filmszene auf. Es ist die Einführung des Physiklehrers Bömmel im Filmklassiker Die Feuerzangenbowle in die Funktionsweise der „Dampfmaschin“. Die Frage, ob er die Erde auch als Dampfmaschine betrachte, bringt Kleidon zum Lachen. Er stimmt zu, präzisiert jedoch, dass er das Erdsystem als sogenannte Wärmekraftmaschine – den allgemeinen Fall von Dampfmaschine und Verbrennungsmotor – behandle. Das ist nicht seine einzige Betrachtungsweise der Erde, sie liefert aber verblüffende Resultate. Bei der Erklärung, warum das eine wissenschaftlich solide Vorgehensweise sei, geraten wir auf eine ausgedehnte Gedankenreise. Sie führt uns von der Strahlung der Sonne bis ins Spielzimmer von Kleidons Sohn. Schließlich landen wir bei der Frage, wie viel erneuerbare Energie das Erdsystem nachhaltig hergeben kann.

Den Anfang macht die Sonne. Ihre Strahlung ist die Hauptenergiequelle der Erde, deren Gesamtleistung sich auf gigantische 175 000 Terawatt summiert. Ein Terawatt sind 1000 Milliarden Watt. Die Wärme, die aus dem Erd innern aufsteigt und immerhin ganze Kontinentalplatten bewegt, diese mit Erdbeben erschüttert und Vulkane ausbrechen lässt, liefert als zweitstärkster Antrieb des Erdsystems nur etwa den 3500sten Teil an Energie: Sie speist sich aus dem Zerfall natürlicher radioaktiver Elemente und dem langsamen Auskühlen und Erstarren des flüssigen Erdkerns und liefert rund 50 Terawatt.

Hier lohnt sich ein Vergleich mit dem permanenten Fluss an Primärenergie, den die gesamte Menschheit konsumiert. „Er liegt derzeit bei ungefähr 16 Terawatt“, sagt Alex Kleidon. Für das ständige Umkneten braucht die Erde grob also nur dreimal so viel Leistung, wie die Menschheit heute – in anderen Formen – als Primärenergie konsumiert. Im Gespräch mit Kleidon bekommt man ein völlig neues Gefühl für den Energiehunger unserer Spezies. Eine weitere Energiequelle sind die Gezeiten. Wenn Mond und Sonne an der Erde zerren, pumpen sie über ihre Gravitationskraft Energie in unseren Planeten, wenn auch relativ wenig. Sie entspricht einer permanenten Leistung von fünf Terawatt.

Betrachtet man die Erde als „Dampfmaschin“ – oder präziser als Wärmekraftmaschine –, kann man Erdwärme und Gezeiten getrost vernachlässigen. So bleibt als Hauptantrieb des Erdsystems eine reine Strahlungsbilanz übrig. Auf der einen Seite der Bilanz steht die Strahlung von der Sonne, auf der anderen Seite die Rückstrahlung der Erde ins Weltall. Diese entsorgt am Schluss wieder die solare Energie.

Beide Energiemengen müssen sich die Waage halten, sonst würde unser Planet entweder immer wärmer oder immer kälter werden. Moment mal, denkt man hier als Laie: Das Erdsystem verbraucht doch Energie? Der Wind, die Wellen, der Wasserkreislauf, die Pflanzen – alle werden letztlich vom Sonnenlicht angetrieben und nehmen sich ein Stück vom solaren Energiekuchen. Also müsste die Erde doch mehr Energie aufnehmen als abgeben? Irrtum! Alle Spieler im Erdsystem wandeln die durchfließende Energie permanent nur von einer Form in eine andere um. Die gesamte Energiemenge bleibt konstant. Am Ende der komplexen Kette bleibt reine Wärmeenergie.

Und diese strahlt die Erde wie ein Motorkühler wieder ins All ab. Für den Antrieb des Erdsystems sorgt mithin die Umwandlung der solaren Strahlungsenergie in andere Energieformen. Sie trifft als relativ kurzwellige Strahlung auf die Erde, die der Temperatur der Sonnenoberfläche von rund 5500 Grad Celsius entspricht. Wesentlich langwelliger und kälter ist dagegen die Rückstrahlung von der Erde ins All: minus 18 Grad. Dazwischen hat die Sonnenenergie das Leben auf der Erde über die Fotosynthese angekurbelt – wie ein komplexes Getriebe, das gewissermaßen Temperaturgänge herunterschaltet.

Und genau deshalb passt das Bild der Wärmekraftmaschine so gut. Eine Dampflok hat ebenfalls eine heiße Energiequelle, nämlich das Feuer im Kessel, das Wasserdampf erzeugt. Dieser verrichtet mechanische Arbeit, muss dafür aber am Schluss gekühlt und wieder zu Wasser auskondensiert werden. Der Kühlprozess entspricht dem Abstrahlen der Erde ins All. Um arbeiten zu können, brauchen alle Wärmekraftmaschinen ein heißes Reservoir zur Energiezufuhr und ein kaltes Reservoir zur Entsorgung der Abwärme. Das gilt für Verbrennungsmotoren wie für Kraftwerksturbinen.