Bestandsaufnahme
Von Matthias Ruchser, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
Mitte Juli 2012 jährten sich zwei Initiativen, die für die zukünftige Energieversorgung Europas und des Mittleren Ostens und Nordafrika (MENA) von großer Bedeutung sein könnten: Die am 13. Juli 2008 gegründete „Union für das Mittelmeer“ (UfM) mit ihrem Mittelmeer-Solarplan (MSP) und die Vorstellung der Desertec-Industrie-Initiative (Dii) im Jahr 2009. Hinzu kommt seit 2010 die in Medgrid umbenannte Transgreen-Initiative zur Analyse der technischen, ökonomischen und institutionellen Machbarkeit eines Stromnetzes zwischen Europa und Nordafrika.
Während vor allem die Gründung der privatwirtschaftlichen Desertec-Industrie-Initiative große mediale Wellen geschlagen hat, ist es in Zeiten der Finanzkrise und des Arabischen Frühlings um die Strom-aus-der-Wüste-Initiativen ruhiger geworden. Vier Jahre nach der Ausrufung des Mittelmeer-Solarplans und drei Jahre nach der Initiierung der Dii ist es an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen (vergleiche die erste Zwischenbilanz im Rahmen der Aktuellen Kolumne vom 02.08.2010).
Wir erinnern uns: Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat drei Potenzialstudien erstellt, auf deren Basis die DESERTEC-Stiftung bzw. deren Vorläufer, das TREC-Netzwerk, das Desertec-Konzept entwickelt hat. Das in den DLR-Studien formulierte Ziel lautete, 17 % der europäischen Stromversorgung bis zum Jahr 2050 durch Strom aus der Wüste zu decken.
In dem kürzlich veröffentlichten Dii-Bericht Desert Power 2050, Perspectives on a Sustainable Power System for EUMENA werden nun sogar bis zu 20 % Wüstenstrom für Europa anvisiert. Ging das DLR 2006 noch davon aus, dass im Jahr 2050 707 Terawattstunden (TWh) Wüstenstrom pro Jahr nach Europa exportiert werden, rechnet die Dii inzwischen mit einem Nettoexportvolumen von über 1.000 TWh. Wie viel Strom bei diesen Exportmengen überhaupt in den Erzeugerländern der MENA-Region verbleiben kann, bleibt unklar; obwohl dort im Jahr 2050 mit einem Strombedarf von 3.000 TWh gerechnet wird. Die von Dii genannten Erzeugungspotentiale von 10.000 TWh Sonnen- und Windstrom zu maximal 50 €/MWh erscheinen zumindest aus heutiger Sicht als unrealistisches Ziel.
Gibt es Fortschritte bei den Energieprojekten?
Nach aktuellen Informationen bereitet die Desertec-Industrie-Initiative derzeit in Marokko, Algerien und Tunesien Referenzprojekte in der Größenordnung von 2,5 Gigawatt vor. Am konkretesten sind die Pläne in Marokko gediehen. Im Mai 2011 unterzeichneten die Dii und die Marokkanische Agentur für Solarenergie (MASEN) eine Absichtserklärung für ein Referenzprojekt in der Größenordnung von 500 Megawatt (MW). Entgegen der landläufigen Meinung wird die Dii jedoch weder als Investor noch als Betreiber der Kraftwerke in Erscheinung treten.
Relativ weit fortgeschritten sind die Planungen von MASEN für ein Kraftwerk auf der Basis solarthermischer Stromerzeugung (Concentrated Solar Power – CSP) bei Ouarzazate/Marokko in der Größenordnung von 160 MW. Die Finanzierung erfolgt zu 75 % durch Kredite von Weltbank, Afrikanischer und Europäischer Entwicklungsbank, KfW etc. Noch ist die Finanzierung solcher Projekte nur im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit möglich; private Investoren scheuen weiterhin das Risiko.
Welche Technik – zu welchem Preis?
Durch den massiven Preisverfall der Photovoltaik (PV) seit Anfang vergangenen Jahres wurde das Geschäftsmodell der Dii bereits in Frage gestellt, da die photovoltaische Stromerzeugung sehr viel günstiger wurde als die solarthermische. Während die Stromgestehungskosten bei PV-Anlagen kontinuierlich sinken (derzeit 0,08 – 0,10 €/kWh für PV-Freiflächenanlagen in Nordafrika), gibt es bei der CSP kaum Spielraum für Kostensenkungen (derzeit 0,18 – 0,23 €/kWh in Nordafrika). Zwar sind weltweit 2 GW an CSP-Kraftwerken installiert, doch der derzeitige Ausbau reicht nicht aus, um entsprechende Skaleneffekte für Kostenreduktionen zu erreichen. Selbst wenn alle Kostensenkungspotentiale ausgeschöpft werden, wird CSP mit 0,15 – 0,16 €/KWh teurer bleiben als die Photovoltaik.
Die solarthermische Stromerzeugung hat jedoch zwei Vorteile, die für die Umsetzung des Strom-aus-der-Wüste-Konzeptes relevant sind: CSP ist grundlastfähig und die Kombination mit einer Salzspeichereinheit ermöglicht die Stromproduktion nach Sonnenuntergang. Durch die höhere Auslastung der Dampfturbine verringern sich durch höhere Volllaststunden die Stromgestehungskosten. Bei der PV führt hingegen eine Batterie als Stromspeicher zu höheren Stromgestehungskosten. Das Geschäftsmodell von Strom aus der Wüste wird nicht an sinkenden PV-Preisen scheitern. Denn Dii und die anderen Initiativen tun gut daran, sowohl auf CSP als auch auf PV und Windenergie zu setzen. In „Desert Power Perspectives 2050“ formuliert die Industrie-Initiative einen Kostenvorteil von Strom aus der Wüste von durchschnittlich 20 % gegenüber europäischen Alternativen. Ab dem Jahr 2050 soll Europa 33 Mrd. € pro Jahr, oder 30 € pro Megawattstunde durch Wüstenstrom einsparen.
Die Kooperation zwischen den Initiativen kommt voran
Sah es zunächst danach aus, dass unabhängig voneinander entstandene und zueinander in Konkurrenz stehende Projekte den Aufbau von erneuerbaren Energiekapazitäten sowie den Aufbau eines Stromnetzes zwischen Europa und Nordafrika zum Ziel hatten, so gibt es seit diesem Jahr Kooperationsvereinbarungen zwischen dem UfM-Sekretariat und den beiden Konsortien Medgrid und Dii. Bereits 2011 hatten Dii und Medgrid vereinbart, ihre Zusammenarbeit in der Entwicklung und Übertragung von erneuerbaren Energien aus der Wüste zu stärken.
Wie diese Kooperationen konkret aussehen werden, bleibt abzuwarten. Dass die Kooperation zwischen den Initiativen dringend notwendig ist, zeigt folgendes Beispiel: Noch 2011 schrieb das UfM-Sekretariat vier Consulting-Aufträge für die Ausarbeitung des MSP Master Plans aus, um die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen, die Finanzierungs- und Fördermaßnahmen sowie den Transport und die Speicherung des Wüstenstroms ausarbeiten zu lassen. Da das Dii-Team an denselben Themen arbeitete, war eine Kooperation zwischen dem UfM-Sekretariat und der Dii mehr als überfällig.
Bis der Strom aus der Wüste tatsächlich fließen kann, müssen noch einige Hindernisse überwunden werden. Von den Projekten müssen auch die Standortländer der Kraftwerke profitieren, prioritär bei der Verwendung des erzeugten Stroms aber auch entlang der Wertschöpfungskette der Kraftwerke selbst. Doch dafür müssen die MENA-Länder politische und rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die Investoren anlocken und nicht, wie das heute zum Teil der Fall ist, abschrecken. Eine Bedingung hierfür ist, dass die hohen Subventionen für fossile Energieträger reduziert werden. Zudem ist derzeit nicht absehbar, ob es in den arabischen Ländern eine klare Perspektive für eine langfristige demokratische Entwicklung gibt; dies gilt auch für Tunesien, Ägypten und Libyen. Denn neben der Wirtschaftlichkeit interessiert einen privaten Investor, ob die Partner vor Ort überhaupt garantieren können, dass die Vertragsbedingungen über die relativ lange Laufzeit derartiger Projekte eingehalten werden.
Des Weiteren muss vor allem die solarthermische Stromerzeugung durch Skaleneffekte günstiger werden, da sie technische Vorteile gegenüber der Photovoltaik hat. Schließlich müssen Hochspannungs-Gleichstromnetze (HGÜ) zwischen Europa und der MENA-Region gebaut werden, da die zwei bestehenden Leitungen zwischen Spanien und Marokko mit einer Gesamtkapazität von 1.400 MW nach dem Aufbau der Kraftwerkskapazitäten nicht ausreichen werden. Denn nur mit neuen HGÜ-Leitungen wird es einen mediterranen Stromverbund geben, von dem alle beteiligten Akteure profitieren können.
->Quelle © Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn