Saarbrücker Materialforscher entwickeln hocheffiziente Energiespeicher aus Kohlenstoffnanofasern
Die Energiewende ist in aller Munde. Schnell wird dabei an den Ausbau und die gesteigerte Nutzung alternativer Energiequellen gedacht: Solar- und Windkraftanlagen erzeugen viel Strom, wenn die Sonne scheint, oder der Wind weht. Je nach Wetterlage wird so innerhalb kurzer Zeit sehr viel Strom produziert. Große Teile dieses „grünen“ Stroms gehen ungenutzt verloren, weil unzureichend Speicherkapazitäten zur Verfügung stehen. Am INM, dem Leibniz?Institut für Neue Materialien, entwickeln Forscher nun neuartige Doppelschichtkondensatoren als Alternativtechnologie zu herkömmlichen Batterien. Darin lässt sich der Strom in Sekundenschnelle speichern und nahezu verlustfrei und beliebig oft wieder abrufen. Das BMBF fördert das neue Forschungsvorhaben im Rahmen der Leuchtturmprojekte der Speicherinitiative mit rund drei Millionen Euro für fünf Jahre.
Moderne Energiespeicher, die herkömmliche Batterien, Akkus oder Schwungräder deutlich übertreffen, müssen mehrere Bedingungen erfüllen: Sie müssen kostengünstig in der Herstellung sein, viel Energie auf möglichst kleinem Raum speichern und sie müssen sich schnell und häufig ohne Verschleiß beladen und entladen lassen. „Doppelschichtkondensatoren bieten viele dieser Vorteile“, erklärt Volker Presser, Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe Energie?Materialien. Man findet sie heute schon in modernen Stadtbussen in Shanghai, in Notstromaggregaten des Airbus A380 oder in alltäglichen Akkuschraubern. Sie kommen überall dort zum Einsatz, wo hohe Verlässlichkeit gefordert ist und wo schnell viel Energie gespeichert oder abgerufen werden soll.
Dass in Doppelschichtkondensatoren schnell Energie gespeichert werden kann, liegt am elektrochemischen Speicherprinzip: Ionen in einem flüssigen Elektrolyten werden an je eine positiv und eine negativ geladene Elektrode angelagert, die über eine nicht?leitende Wand, den sogenannten porösen Separator, getrennt sind. Diese elektrochemische Doppelschicht ist in sich ladungsneutral und kann die darin gespeicherte Energie in Sekunden wieder freigeben. Der Stromfluss sowohl zum Beladen als auch zum Entladen erfolgt durch Stromabnehmer an diesen Elektroden.
Je mehr positive und negative Ladungen sich anhäufen und je höher die angelegte Spannung ist, umso mehr Energie kann gespeichert werden . Deshalb ist es wichtig, Elektroden mit möglichst hoher spezifischer Oberfläche herzustellen: Besteht sie zum Beispiel aus fünf Gramm Aktivkohle hat die Elektrode eine innere Oberfläche von einem Fußballfeld.
„Wenn es darum geht, viel Strom auf wenig Platz zu speichern, hinken Doppelschichtkondensatoren trotz dieser hohen Oberfläche den gängigen Batteriesystemen noch hinterher“, sagt, der Mineraloge Presser, „diese sogenannte Energiedichte können wir noch steigern, wenn wir die Struktur des Materials und die Materialzusammensetzung verändern.“ Im Forschungsprojekt „nanoEES3D“ werden die Forscher deshalb ganz genau betrachten, wie sie das Zusammenspiel von Oberflächenstruktur und Poren von Hochleistungskohlenstoffen für den schnellen Transport von Ionen verbessern können.
Die Porosität von Kohlenstoff lässt sich sehr genau über den Syntheseweg steuern: Von Metallkarbiden ausgehend, die als Pulver oder hauchdünne Nanofasern vorliegen, entsteht durch eine chemische Behandlung mit reaktiven Gasen hochporöser und hochreiner Kohlenstoff. Je nach Wahl des Ausgangsmaterials und der Reaktionsbedingungen, wie zum Beispiel Temperatur und Zeit, lassen sich verschiedene Nanokohlenstoffe in Pulverform herstellen. Sie reichen von ungeordnetem Kohlenstoff über Graphen bis zu Nanotubes.
„Die Kosten für diesen Herstellungsweg sind jedoch für eine Anwendung im großen Maßstab viel zu teuer“, meint der Energieexperte, „wir werden deshalb in unserem Projekt neue Synthesewege ausprobieren und Polymere als Ausgangsmaterial für besonders formbare Kohlenstoffe untersuchen“, sagt Presser, „dies hat den Vorteil, dass man nicht nur Pulver, sondern auch Fasern, Dünnfilme und Kohlenstoffschäume herstellen kann.“
Auch durch die eingesetzten Elektrolyte lässt sich die Speicherkapazität erhöhen: „Bisher werden in organischen Lösungsmitteln gelöste Salze als Elektrolyt verwendet“, erklärt Presser, „würde man sie durch ionische Flüssigkeiten ersetzen, könnte man die Speicherkapazität weiter erhöhen; allerdings sind sie für großindustrielle Anwendungen zu kostspielig“. Das Team um Presser will deshalb diese hochporösen Kohlenstoffe mit redoxaktiven Metalloxidnanopartikeln kombinieren. „Solche Hybridmaterialien können als sogenannte Pseudokondensatoren über zehnfach höhere Energiemengen speichern, als herkömmliche Doppelschichtkondensatoren“, erklärt der Nachwuchsforscher. „Hier müssen wir allerdings vorsichtig sein, denn damit können wir zwar mehr Energie speichern, allerdings oft auf Kosten der Langlebigkeit und Reaktionsschnelle solcher Speicher.“ Am Ende des fünfjährigen Forschungsprojektes sollen neue Materialkonzepte und Synthesewege für hochoptimierte Speicherzellen zur Verfügung stehen.
Das INM erforscht und entwickelt Materialien – für heute, morgen und übermorgen. Chemiker, Physiker, Biologen, Material? und Ingenieurwissenschaftler prägen die Arbeit am INM. Vom Molekül bis zur Pilotfertigung richten die Forscher ihren Blick auf drei wesentliche Fragen: Welche Materialeigenschaften sind neu, wie untersucht man sie und wie kann man sie zukünftig für industrielle und lebensnahe Anwendungen nutzen? Das INM ? Leibniz?Institut für Neue Materialien gGmbH mit Sitz in Saarbrücken ist ein international sichtbares Zentrum für Materialforschung. Es kooperiert wissenschaftlich mit nationalen und internationalen Instituten und entwickelt für Unternehmen in aller Welt. Das INM ist ein Institut der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. und beschäftigt rund 180 Mitarbeiter. Seine Forschung gliedert sich in die drei Felder Chemische Nanotechnologie, Grenzflächenmaterialien und Materialien in der Biologie.
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