Supraleitung oder Thermoelektrizität bald kontrollierbar?
Ladungsdichtewellen verbessern das Verständnis des widerstandslosen Stromtransports und könnten ein ungewöhnliches Zusammenspiel von supraleitenden und magnetischen Materialien erklären.
Ob ein Material Strom ohne Verlust leitet, ist nicht zuletzt eine Frage der richtigen Temperatur. Diese könnte sich für Hochtemperatur-Supraleiter künftig zuverlässiger vorhersagen lassen. Solche Materialien geben ihren Widerstand auf, wenn sie mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden, der relativ einfach zu handhaben ist. Ein internationales Team, an dem Physiker des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart maßgeblich beteiligt waren, hat nun herausgefunden, dass diese Form der Supraleitung mit Ladungsdichtewellen, also mit einer periodisch schwankenden Verteilung der Ladungen konkurriert. Da die Physiker diesen Wettbewerb in ihren Modellen bislang nicht berücksichtigten, blieben ihre Berechnungen der Sprungtemperatur, bei der die Supraleitung eintritt, ungenau. In einer weiteren Arbeit haben die Forscher des Stuttgarter Max-Planck-Instituts Erkenntnisse gewonnen, wie supraleitende mit magnetischen Materialien wechselwirken. Dabei haben sie beobachtet, dass die elektronischen Eigenschaften Kristallschwingungen in größerem Umfang beeinflussen, als zu erwarten war. Dieser Effekt könnte helfen, Materialeigenschaften wie die Supraleitung oder die Thermoelektrizität zu kontrollieren.
Wenn Strom künftig von leistungsstarken Offshore-Windparks oder gar von ausgedehnten Solarfeldern in der Sahara an die Verbraucher in Deutschland verteilt werden sollte, wird einige Energie in den langen Stromleitungen verloren gehen. Supraleitende Kabel könnten da Abhilfe schaffen, wenn ihre Kühlung nicht mehr Energie verbraucht als sie einzusparen helfen. Materialien, die den Namen Hochtemperatur-Supraleiter auch gemessen an der Praxis und gemessen an unserem alltäglichen Temperaturempfinden verdienen, wollen Bernhard Keimer und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart identifizieren. Zu diesem Zweck müssen sie zunächst jedoch verstehen, wie die Supraleitung in den Materialien funktioniert und beeinflusst werden kann, die als Hochtemperatur-Supraleiter bezeichnet werden, obwohl sie ihren Widerstand erst bei Minusgraden verlieren, gegen die ein sibirischer Winter geradezu mild ist. Mit zwei aktuellen Arbeiten sind die Stuttgarter Physiker auf diesem Weg nun einen Schritt vorangekommen.
Einer ihrer Entdeckungen zufolge können wir wahrscheinlich froh sein, dass es Hochtemperatur-Supraleitung überhaupt gibt – eine Eigenschaft, die trotz der momentanen Mankos vielversprechend bleibt. „Sie verdanken wir offenbar einem Glücksfall“, sagt Bernhard Keimer, Direktor am Stuttgarter Max-Planck-Institut. Das legt zumindest die Beobachtung des internationalen Teams nahe, an dem neben Bernhard Keimer und seinen Kollegen auch Wissenschaftler des Politecnico di Milano, der European Synchrotron Radiation Facility Grenoble, der University of British Columbia in Kanada sowie einiger weiterer Forschungseinrichtungen beteiligt waren.
Die Supraleitung schlägt die Ladungsdichtewellen in einem knappen Wettbewerb
Die Forscher haben herausgefunden, dass die Supraleitung in einer Art von Kupferoxid-Keramiken mit einem Zustand konkurriert, in dem sich eine Ladungsdichtewelle ausbildet. Solche Ladungsdichtewellen kennen Physiker schon seit Jahrzehnten von zweidimensionalen Materialien wie etwa Niobseleniden. Darin verteilen sich die Leitungselektronen nicht gleichmäßig über den Kristall wie in einem Metall. Vielmehr bilden sie ein regelmäßiges Muster von Gebieten, in denen sie sich mal stärker und mal weniger stark konzentrieren.
„In den supraleitenden Cupraten haben wir die Ladungsdichtewellen nicht erwartet, weil sie die Supraleitung zerstören“, sagt Bernhard Keimer. Statt sich in regelmäßigen Abständen mal mehr und mal weniger zu konzentrieren schließen sich die Elektronen in Supraleitern zu Cooper-Paaren zusammen, die widerstandslos durch einen Kristall flutschen können. Dementsprechend beobachteten die Forscher die Ladungsmuster nur oberhalb der Sprungtemperatur, bei der das Material supraleitend wird.
Jedoch wuchsen die Bereiche zunächst, in denen sich Ladungsdichtewellen ausbildeten, während die Forscher das Material zur Sprungtemperatur abkühlten. Sobald sie jedoch die Sprungtemperatur bei minus 213 Grad Celsius erreichten, verschwanden die Ladungsdichtewellen plötzlich und die Supraleitung setzte sich durch. „Die Supraleitung setzt sich in diesem Wettbewerb nur knapp durch“, erklärt Bernhard Keimer. „Wenn die Vorteile dabei nur ein bisschen anders verteilt wären, gäbe es die Hochtemperatursupraleitung möglicherweise gar nicht.“
Ladungsdichtewellen erklären zu hoch berechnete Sprungtemperaturen
Aufgespürt hat das Forscherteam die Ladungsdichtewellen, indem es Yttrium- und Neodymbariumcupraten der Zusammensetzung (Y,Nd)Ba2Cu3O6+x mithilfe der resonanten Röntgenstreuung durchleuchtete. Diese liefert exklusive Informationen über die Elektronen, die sich nur schwer entscheiden können, ob sie lieber eine Welle machen oder auf Partnersuche gehen wollen, um gemeinsam leichter durch ihren Kristall zu schlüpfen. Diese Messungen werden die Physiker um Bernhard Keimer nun auch an anderen Hochtemperatursupraleitern vornehmen. So wollen sie herausfinden, ob sich alle diese Materialien in einer elektronischen Konkurrenz befinden.
Zudem werden die Forscher den Widerstreit zwischen den beiden elektronischen Zuständen in ihrem theoretischen Modell der Supraleitung berücksichtigen. „Mit diesem Modell können wir die Sprungtemperatur eines Materials schon ziemlich gut berechnen, landen dabei aber immer etwas zu hoch“, sagt Bernhard Keimer. „Die Konkurrenz mit der Ladungsdichtewelle erklärt diese Diskrepanz, so dass unsere Vorhersagen künftig noch präziser werden dürften.“
Supraleitung lässt sich durch Magnetismus beeinflussen
Ladungsdichtewellen erklären vielleicht auch eine Beobachtung, die sein Team kürzlich in einer anderen Arbeit machte. Auch hier spielte ein Hochtemperatursupraleiter eine Rolle. Auch er setzte sich aus Yttrium, Barium sowie Kupferoxid zusammen und wird durch die Formel YBa2Cu3O7, kurz YBCO beschrieben. Diese Keramik kombinierten die Forscher nun jedoch mit einem magnetischen Material aus Lanthan, Calcium und Manganoxid, das der Formel La2/3Ca1/3MnO3 (oder LCMO) gehorcht. Beide Substanzen stapelten sie zu einem Übergitter, einem Sandwich aus nur einigen Nanometer dicken Schichten, und sie verfolgten dabei ein klares Ziel.
„Wir gehen inzwischen davon aus, dass sich die Cooperpaare in Hochtemperatursupraleitern aufgrund magnetischer Wechselwirkungen bilden“, erklärt Bernhard Keimer. „Wenn das so ist, sollte sich die Supraleitung durch Magnetismus beeinflussen lassen, um die Sprungtemperatur zu erhöhen.“ Dafür dürfte sich die spezielle Form des Magnetismus im LCMO zwar nicht eignen. Dieses Material ist nämlich ferromagnetisch, das heißt, die magnetischen Momente der einzelnen Atome orientieren sich wie im Eisen alle in eine Richtung. Und diese Form des Magnetismus bricht die Cooperpaare auf, schadet also der Supraleitung und senkt die Sprungtemperatur. Mit dem Material lässt sich aber sehr gut untersuchen, wie die Sprungtemperatur auf den Magnetismus reagiert und worauf dessen Einfluss im Detail beruht.
Tatsächlich beobachteten die Forscher, was sie erwartet hatten: Die Sprungtemperatur des YBCO sank in einem Sandwich mit LCMO, und zwar umso tiefer, je dünner die Forscher die YBCO-Schichten im Vergleich zum LCMO machten. Bernhard Keimer und seine Mitarbeiter wollten die Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Schichten aber noch tiefer ergründen. Konkret wollten sie herausfinden, wie sich das elektronische Geschehen in einer Schicht, also zum einen die Supraleitung und zum anderen der Magnetismus, auf die Schwingungen der Atome in dieser Schicht auswirkt. Physiker nennen die Wechselwirkung Elektron-Phonon-Kopplung, wobei Phonon für Schwingung steht.
Kopplung zwischen Elektronen und Schwingungen beeinflusst Materialeigenschaften
Anschaulich kann man sich den Mechanismus damit erklären, dass die Elektronen wie Federn zwischen den Atomen wirken. Welchen Zustand die Elektronen annehmen, beeinflusst die Härte zwischen den Federn und somit ihre Fähigkeit, Schwingungen zu koppeln. Die Elektron-Phonon-Kopplung liegt einigen nützlichen Materialeigenschaften zugrunde. Dazu gehört die Fähigkeit mancher Materialien, eine Temperaturdifferenz in eine elektrische Spannung zu verwandeln, oder auch die konventionelle Supraleitung, bei der Schwingungen des Kristallgitters und nicht der Magnetismus die Cooperpaare zusammenschweißen. Untersucht haben die Forscher die Elektron-Phonon-Kopplung, indem sie mit einem Raman-Spektrometer ausgewählte Schwingungen beobachteten, während sie das Materialsandwich soweit abkühlten, bis im LCMO die magnetische Ordnung und im YBCO die Supraleitung auftrat.
Den Messungen der Stuttgarter Forscher zufolge änderte eine Schwingung der Kupferoxid-Gruppe in der YBCO-Schicht ihre Frequenz, als bei der Sprungtemperatur die Supraleitung einsetzte. Ebenso reagierte eine Vibration der Manganoxid-Gruppe in der LCMO-Schicht, als sich in dem Material die ferromagnetische Ordnung ausbildete. „Das hat uns nicht sehr überrascht“, sagt Bernhard Keimer. „Nicht gerechnet haben wir aber damit, dass die Supraleitung auch die Schwingung des Manganoxids beeinflusst.“
Die Elektron-Phonon-Kopplung macht sich also auch über Materialgrenzen hinweg bemerkbar, und das nicht nur direkt an der Grenze der beiden Substanzen, sondern in der ganzen LCMO-Schicht. Das ist deshalb nicht zu erwarten, weil die Schwingungen zumindest in den Tiefen der beiden Schichten gewöhnlich so unabhängig sind, wie zwei Kinder, die nebeneinander schaukeln. Völlig erklären können die Stuttgarter Forscher ihre Beobachtung auch noch nicht, aber sie haben schon einige Vermutungen und inzwischen auch Hinweise, wie es zu der weitreichenden Elektron-Phonon-Kopplung kommen könnte.
Ladungsdichtewellen erklären die weitreichende Elektron-Phonon-Kopplung
Eine Voraussetzung für die grenzüberschreitende Kopplung ist, dass die Kupfer- und Manganatome direkt an der Grenze über jeweils ein Sauerstoffatom sehr stark miteinander verbunden sind. Diese Bindung wirkt etwa so wie ein Gummiband zwischen zwei Schaukeln. Außerdem können die Kupfer- und Manganatome Schwingungen mit derselben Frequenz ausführen, sodass eine Schwingung der Kupferatome die Manganatome leicht mitziehen kann. Ganz so, wie auch zwei Kinder nur im Takt schaukeln können, wenn ihre Schaukeln gleich lang sind, also mit derselben Frequenz schwingen. Und angenommen ihre beiden Schaukeln sind über ein starkes Gummiband miteinander verbunden: Auch nur wenn beide auf gleichlangen Schaukeln sitzen, kann ein Kind das andere mitziehen.
Schließlich braucht ein Kind in einem solchen Schaukeltandem kräftige Schubser, damit das andere mitpendelt. Genauso bedarf es im YBCO-LCMO-Übergitter eines starken Auslösers, damit die Manganatome auf die Schwingung der Kupferatome reagieren. Kommt der Anstoß von den Elektronen, genauer der einsetzenden Supraleitung, muss die Elektron-Phonon-Kopplung groß sein. Auch diese Bedingung erfüllt das YBCO-LCMO-Sandwich. „Dass der Effekt aber auch in der gesamten LCMO-Schicht spürbar bleibt, liegt möglicherweise wiederum an den Ladungsdichtewellen im YBCO“, erklärt Bernhard Keimer. „In aktuellen Experimenten haben wir auch schon Hinweise darauf gefunden, dass die Sandwich-Struktur diese konkurrierende Ordnung stabilisiert.“
Um die Temperatur, bei der Hochtemperatursupraleiter ihren Widerstand verlieren, nach oben zu treiben, hilft die langreichweitige Elektron-Phonon-Kopplung im LCMO-YBCO-Übergitter nicht. „Aber sie bietet uns die Möglichkeit, andere Eigenschaften wie die Thermoelektrizität oder die konventionelle Supraleitung zu beeinflussen“, erklärt Bernhard Keimer. Und sie erweitert das Verständnis, wie sich magnetische und supraleitende Materialien gegenseitig beeinflussen. Das wiederum bringt die Stuttgarter Forscher auch ihrem endgültigen Ziel näher: Supraleiter zu entwickeln, die Strom energieeffizient von Windparks und Solarfeldern zum Verbraucher transportieren können. (PH)
->Quelle: Max-Planck-Institut für Festkörperforschung