Ökosteuer: Weiterführung von Spitzenausgleich „für lau“
Deutsche Umwelthilfe kündigt Beschwerde bei EU-Kommission an
Keine ökologischen Gegenleistungen der Unternehmen für Steuermindereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe
Die Bundesregierung plant ein Steuergeschenk in Höhe von weit mehr als 20 Milliarden Euro über zehn Jahre für Teile des produzierenden Gewerbes. Die im engen Schulterschluss mit dem BDI und dem BDEW ausgehandelte Weiterführung des so genannten Spitzenausgleichs ab 2013 wird zudem entgegen öffentlichen Beteuerungen der Bundesminister Rösler FDP und Altmaier CDU praktisch ohne Gegenleistung gewährt. Darauf hat die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hingewiesen und für den Fall der Verabschiedung der Regelung im Bundestag Beschwerde bei der EU-Kommission angekündigt.
Die von der Bundesregierung mit BDI und BDEW flankierend abgeschlossene „Vereinbarung zur Steigerung der Energieeffizienz“ diene einzig dem Zweck, eine nach EU-Recht für die Gewährung von Steuerentlastungen erforderliche Gegenleistung zu suggerieren und auf diese Weise, die Zustimmung der EU-Kommission zu erhalten. „Was wir hier erleben, ist in Wahrheit die unverblümte Fortsetzung der einseitigen Verschiebung der Lasten von Energiewende und Klimaschutz auf private Haushalte und Mittelstand zugunsten der Industrie“, sagte die Leiterin Klimaschutz und Energiewende der DUH, Cornelia Ziehm. Die getroffenen Regelungen und Vereinbarungen widersprechen nach Überzeugung der DUH auch dem von der Bundesregierung selbst vor zwei Jahren beschlossenen Energiekonzept. Danach sollten ab 2013 nur solche Betriebe weiter vom Spitzenausgleich profitieren, die Energieeinsparungen auch tatsächlich nachweisen. Davon ist keine Rede mehr.
Die Effizienzvereinbarung, die bis 2022 gelten solle, begründe darüber hinaus erhebliche Zweifel im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip, weil sie im Fall ihres Inkrafttretens den Handlungsspielraum von mindestens drei nach der Entscheidung gewählten Parlamenten massiv einschränke. Vor allem aber verstießen die vereinbarten Regelungen gegen das EU-Beihilfe- und Energiesteuerrecht, das derartige Entlastungen abhängig mache von realen ökologischen Gegenleistungen.
Die vorgesehenen Regelungen schreiben maximal den langjährigen Trend der Verbesserung der Energieeffizienz fort und erlegen zudem den begünstigten Unternehmen – auch dies im Gegensatz zu einem frühen Regelungsentwurf aus dem Bundesfinanzministerium – keinerlei individuelle Nachweispflichten über durchgeführte Effizienzverbesserungen auf. Tatsächlich wird von den begünstigten Unternehmen nicht einmal verlangt, irgendwelche Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz real durchzuführen.
Der so genannte Spitzenausgleich „komplettiert“ für etwa 23.000 Unternehmen des produzierenden Gewerbes die Entlastung von der Ökosteuer (s. Hintergrund unten). Für das Jahr 2013 rechnet die Bundesregierung allein dadurch mit Steuermindereinnahmen von 2,3 Milliarden Euro. Für die Jahre 2013 und 2014 werden die begünstigten Unternehmen zu keinerlei realen Fortschritten bei ihrer Energieintensität verpflichtet. Ebenso wenig die begünstigten Wirtschaftszweige insgesamt. Für 2015 genügt es, wenn ein Unternehmen ein Energiemanagementsystem bzw. Energieaudit eingeführt hat (nicht etwa betreibt) und der begünstigte Wirtschaftszweig insgesamt (etwa 110.000 Unternehmen) einen Zielwert von 1,3 Prozent bei der Reduzierung der Energieintensität nachweist. Dieser Zielwert entspricht exakt der nach einer Trendprognose der EU in Deutschland zu erwartenden Reduktion (business as usual). Zusätzliche Anstrengungen sind nicht erforderlich. 1 2016 soll der Zielwert schließlich um 0,05 Prozentpunkte erhöht werden (auf 1,35 %). 2017 wird „evaluiert“ und für die Jahre 2019 bis 2022 wurden keine weiteren Zielwerte vereinbart.
Umweltminister Altmaier, der die Effizienzvereinbarung mit gezeichnet hat, feiert die Einführung von Energiemanagementsystemen und Energieaudits wie sein Kollege Rösler als großen Fortschritt. Das ist nach Überzeugung der DUH nicht nur deshalb „irreführend“, weil die begünstigten Unternehmen diese Verfahren erst ab 2016 anwenden müssten und darüber hinaus aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse zu keinerlei Maßnahmen verpflichtet würden. Es sei vor allem auch bemerkenswert, weil die im Juni 2012 verabschiedete Energieeffizienz-Richtlinie der EU ohnehin entsprechende Regelungen ab dem Jahr 2015 vorschreibe. Das, was als freiwillige Sonderleistung dargestellt werde, ergibt sich in Wirklichkeit bereits aus zwingendem EU-Umweltrecht.
„Für uns ist es ein Rätsel wie ein amtierender Umweltminister mit federführender Zuständigkeit für den Klimaschutz einer Regelung zustimmen konnte, die so offensichtlich nicht dem Klimaschutz, sondern lediglich der kreativen Interpretation der EU-Beihilferichtlinien dient“, sagte Gerd Rosenkranz, der Leiter Politik und Presse bei der DUH.
Wie bei den Entlastungen großer Teile der Industrie von der EEG-Umlage, von den Stromdurchleitungsgebühren oder zuletzt bei der skandalösen Haftungsregelung für Verzögerungen bei der Anbindung von Offshore-Windparks an das Stromnetz, könnten die bekennenden und heimlichen Gegner der Energiewende im Regierungslager durch ihre Politik mit einer „doppelten Dividende“ rechnen. Zum einen werde die im Wahlkampf wichtige Großindustrie gegenüber den Regierungsparteien friedlich gestimmt. Zum andern könnten die Bremser darauf hoffen, dass die Energiewende bei denen, die nach dem Willen der Regierung dafür bezahlen sollen, auf immer weniger Zustimmung stößt. Rosenkranz: „Wir fordern die Energiewendeanhänger in den Regierungsparteien auf, die perfide Unsinnsregelung im Bundestag gemeinsam mit der Opposition zu stoppen.“
Hintergrund: Der Spitzenausgleich
Im Jahr 1999 wurde die Ökosteuer eingeführt. Einen Teil der resultierenden Einnahmen überweist der Bund der gesetzlichen Rentenversicherung. Dadurch sparen die Arbeitgeber Versicherungsbeiträge. Die für bestimmte Produktionsprozesse benötigte Energie ist allerdings von vornherein vollständig oder teilweise von der Ökosteuer befreit. Weil die entsprechenden Betriebe keine Ökosteuer oder nur einen reduzierten Satz zahlen, aber trotzdem Rentenbeiträge einsparen, profitieren sie per Saldo von der Ökosteuer – ohne einen zusätzlichen Umweltnutzen zu erbringen. Es gibt aber auch Unternehmen, die mehr Ökosteuer zahlen, als sie an Rentenversicherungsbeiträgen einsparen. Hier greift der so genannte Spitzenausgleich. Er ist eine Steuerbegünstigung für energieintensive Nutzer im produzierenden Gewerbe und gekoppelt an die Entwicklung des Arbeitgeberanteils an den Rentenversicherungsbeiträgen. Er soll sicherstellen, dass die Energiesteuerbelastung für die Industrie nicht wesentlich über der Ermäßigung liegt, die durch die Verringerung des Arbeitgeberanteils an den Rentenversicherungsbeiträgen erzielt wird. Konkret werden denjenigen Betrieben, die den Spitzenausgleich in Anspruch nehmen 90 Prozent der Differenz zwischen gezahlter Ökosteuer und eingesparten Rentenversicherungsbeiträgen erstattet. 2012 entspricht das in der Summe voraussichtlich einem Volumen von 2,3 Milliarden Euro.
1 Im Gegenteil: Wegen des statistischen Effekts des nach der so genannten Wirkungsgradmethode auf 33 % festgelegten Wirkungsgrades von Atomkraftwerken (Erneuerbare Energien: 100 %; moderne Erdgaskraftwerke etwa 60 %) wird die Industrie schon durch die Abschaltung jedes Atomkraftwerks, dessen Stromerzeugung durch Elektrizität aus Erneuerbaren Energien, Effizienten Gas- oder neuen Kohlekraftwerken ersetzt wird, scheinbar „effizienter“, was die Zielerreichung weiter erleichtert. Massiv in dieselbe Richtung wirkt der erwartete starke Ausbau der Erneuerbaren Energien bis 2022, der allein einen Großteil der angekündigten Effizienzverbesserungen rein „statistisch“ einlösen wird.
Quelle/Hintergrund: duh.de DUH-Hintergund Spitzenausgleich