Eingesperrte Elektronen erzeugen mechanische Spannungen bis zum 1000fachen Atmosphärendruck
Leseköpfe von Festplatten-Laufwerken, Laser in DVD-Spielern, Transistoren auf Computer-Chips: all diese Bauteile, und noch viele andere mehr, enthalten ultradünne Schichten aus Metallen oder Halbleitern. In den dünnen Schichten entstehen während ihrer Herstellung Spannungen. Diese beeinflussen die optischen und magnetischen Eigenschaften der Bauteile, verursachen aber auch Fehler im Kristallgitter und lassen ein Bauteil schließlich versagen. Wie Forscher am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart nun festgestellt haben, erzeugt aber auch ein bislang unbekannter quantenmechanischer Mechanismus, der auf einem Effekt namens quantum confinement beruht, enorme Spannungen in den Schichten. Demnach kann der Druck abhängig von der Dicke dadurch bis zum 1000-fachen des Atmosphärendrucks ansteigen. Die Erkenntnisse könnten helfen, die optischen und magnetischen Eigenschaften von Dünnschichtsystemen zu steuern und ihre mechanische Stabilität zu erhöhen. Außerdem lassen sich auf Basis dieser Erkenntnisse möglicherweise sehr sensitive Sensoren entwickeln.
Quantenmechanik wörtlich genommen: Die schematische Skizze veranschaulicht wie in Aluminium-Nanoschichten von fünf beziehungsweise sieben Atomlagen aufgrund eines Quanteneffekts eine mechanische Spannung entsteht. Die Elektronenenergie, dargestellt in der abklingenden Schwingungskurve, hängt von der Schichtdicke ab. Um eine minimale Elektronenenergie zu erreichen, muss die Schichtdicke verändert werden. Ein fünf Atomlagen dicker Film ist gezwungen, sich senkrecht zur Oberfläche zu stauchen, wohingegen ein sieben Atomlagen dicker Film sich senkrecht zur Oberfläche dehnt. Gleichzeitig will sich das System parallel zur Schicht dehnen beziehungsweise stauchen. Da die Aluminiumatome jedoch auf einer Unterlage fixiert sind, ist das nicht möglich. Es entsteht eine Druck- oder Zugspannung, die durch die gelben Pfeile werden. Sie deuten die Kraft an, die aufgewendet wird, um die Dehnung beziehungsweise Stauchung zu verhindern.
Schichten aus Metallen, Halbleitern oder Keramiken lassen sich heute Atomlage für Atomlage auf kristalline Unterlagen (Substrate) wie Silizium aufbringen. Trotz dieser atomaren Präzision entstehen immer wieder Störungen im Kristallgitter der nur wenige Nanometer dünnen Schichten; manchmal fehlt etwa ein Atom an einer Stelle im Gitter, an der eigentlich eins sitzen sollte. Solche Gitterfehler können beispielsweise den Wirkungsgrad von Solarzellen oder Halbleiter-Laser verschlechtern. Ein Grund dafür sind Spannungen, die in der Schicht entstehen. Bislang galt als Hauptgrund für solche Spannungen der Umstand, dass die Schicht auf einem anderen Material wächst: das Kristallgitter der Schicht passt sich dem des Substrates an. Die Atomabstände der Schicht werden entsprechend gestaucht oder gedehnt, wodurch ein Druck oder Zug entsteht. Materialforscher um Eric Mittemeijer, Direktor am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart, haben mit dem quantum confinement nun einen weiteren Mechanismus entdeckt, der in der Lage ist enorme Spannungen in der Schicht zu erzeugen.
David Flötotto und seine Kollegen entdeckten den Mechanismus als sie die Spannungen in ultradünnen Aluminiumschichten analysierten. Hierfür verwendeten sie eine Apparatur, die wie beim Hochziehen einer Mauer eine Lage von Aluminiumatomen nach der anderen präzise auf ein Silizium-Substrat ablagert. Indem die Forscher zunächst die Spannung in einer Einzelschicht, dann in einer Doppelschicht, in einer Dreifachschicht und so fort messen, finden sie heraus, wie sich die Spannung in der Aluminiumschicht nach Ablagerung je einer neuen Atomlage verändert. Zu diesem Zweck bestimmen sie, wie stark sich das Silizium-Substrat durch diese Spannung verbiegt. Dabei stellten sie überrascht fest, dass die Spannung in der Schicht um rund 100 Megapascal schwankt, während die Schicht wächst. Zum Vergleich: Der Druck der Atmosphäre am Erdboden beträgt rund 0,1 Megapascal.
Die Schicht dehnt und staucht sich auf der Suche nach dem elektronischen Minimum
Der Grund für dieses Phänomen liegt darin, dass Elektronen sich in einer nur wenige Atomlagen dünnen Schicht anders verhalten als in einer dickeren Schicht. Die Elementarteilchen lassen sich der Quantenmechanik zufolge nämlich nicht nur als Teilchen, sondern auch als Wellen beschreiben. Da die Dicke von Schichten aus wenigen Atomlagen nur etwas größer ist als die Wellenlänge von Elektronen, „fühlen“ die Elektronen die Grenzen des Films. Das schränkt ihre Flexibilität in der Energieaufnahme und -abgabe stark ein. Die Elektronen können daher nur noch bestimmte, diskrete Energiezustände einnehmen.
Mit kontinuierlich wachsender Schichtdicke schwankt die Elektonenenergie: sie nimmt zunächst mit der Dicke zu, dann wieder ab, wieder zu und so weiter. Als Maxime gilt nun: Gemacht wird alles, was Energie spart. Die Schicht strebt daher Dicken an, für die die Elektronenenergie möglichst klein sind, also die Minima der genannten Schwankung. Wenn die Schicht um eine neue Atomlage wächst, ist sie entweder ein wenig zu dick oder zu dünn für ein solches Minimum. Im ersteren Fall staucht sie sich, im letzteren dehnt sie sich, um das Energie-Minimum zu erreichen.
Die Eigenschaften von ultradünnen Schichten lassen sich nun besser maßschneidern
Eine Dehnung oder Stauchung der Schichtdicke hat aber auch zur Folge, dass sich das Atomgitter parallel zur Schicht stauchen beziehungsweise dehnen möchte. Weil es das wegen seiner festen Verbindung zum Substrat nicht kann, entsteht in der Schicht ein Zug oder ein Druck, den die Forscher gemessen haben. Wenn die Schicht beispielsweise auf fünf Atomlagen angewachsen ist, zieht sie sich zusammen, bei sieben Atomlagen dehnt sie sich aus. Um die gemessenen Spannungen zu erklären, haben die Stuttgarter Forscher ein Modell entwickelt, das die Theorie freier Elektronen und das so genannte Hooksche Gesetz, welches das elastische Verhalten von Festkörpern beschreibt, kombiniert.
Die Forscher sehen vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für ihre Entdeckung. „Je besser man versteht, wie Spannungen in einer wachsenden Schicht entstehen, desto besser lassen sich ihr Wachstum kontrollieren und Gitterfehler vermeiden“, sagt David Flötotto. Darüber hinaus beeinflusse die mechanische Spannung in einer dünnen Schicht deren elektronische, optische und magnetische Eigenschaften. „Solche Eigenschaften lassen sich für ultradünne Schichten nun besser maßschneidern“, ist Flötotto überzeugt. Auch lasse sich die Messung der Spannung nutzen, um die Dicke einer wachsenden Schicht sehr präzise zu bestimmen. Nicht zuletzt könne man den Effekt für hochsensible Gassensoren ausnutzen. Denn schon wenn sich kleinste Mengen von Gasen auf der Oberfläche ablagern, ändert dies die Energiezustände der Elektronen und damit die Spannungen in der Schicht.
Nun arbeitet das Team daran, den Effekt auch für dickere Schichten (im Bereich von 100 Nanometern) nutzbar zu machen. „Wir arbeiten derzeit daran, den Spannungszustand einzufrieren, um auch die Spannung in einer dickeren Schicht kontrollieren“, sagt Flötotto. Damit lasse sich dann auch deren Eigenschaften wie etwa die mechanische Stabilität verbessern.
->Quelle: www.is.mpg.de