In einem Stromnetz mit vielen kleinen Kraftwerken fällt seltener der Strom aus – neue Leitungen müssen allerdings sorgfältig geplant werden
Wind, Sonne oder Biogas spielen immer größere Rollen für die Stromerzeugung. Wenn immer mehr Windkraft- oder Photovoltaikanlagen elektrische Energie ins Stromnetz einspeisen, wird dieses feinermaschig: statt weniger Großkraftwerke verbindet es immer mehr kleine dezentrale Kraftwerke mit den Waschmaschinen, Computern oder Produktionsanlagen der Verbraucher. Anders als manche Experten befürchten, wird ein sehr feinmaschiges Stromnetz wahrscheinlich jedoch nicht empfindlicher für Stromausfälle. Skeptiker nehmen zwar an, dass es deutlich schwieriger werden könnte, die vielen Generatoren und Maschinen der Verbraucher zu synchronisieren, sie also auf eine gemeinsame Netzfrequenz abzustimmen wie ein Dirigent die Musiker eines Orchesters in Gleichtakt bringt.
Ein Team um Marc Timme des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen meint, dass ein „Dirigent“ im Stromnetz der Zukunft überflüssig werden könnte: Dezentrale Erzeuger und die Verbraucher synchronisieren sich in einem simulierten Stromnetz selbst. Darüber hinaus weist die Simulation darauf hin, dass der Ausfall einer einzelnen Leitung in einem dezentral organisierten Stromnetz nicht so leicht zu einem Stromausfall im gesamten Netz führt, dass man aber beim Bau neuer Leitungen vorsichtig sein muss: sie können paradoxerweise zu einer Abnahme der Übertragungskapazität des Gesamtnetzes führen.
Synchronisation, die ohne ein äußeres Signal oder einen Anführer entsteht, ist in der Natur weit verbreitet. Neuronen im Gehirn feuern oft im Gleichtakt, Leuchtkäfer synchronisieren ihr Blinken oder Grillen zirpen einhellig. Ein ähnliche Harmonie ist auch in Stromnetzen notwendig: Alle Generatoren und alle Strom verbrauchenden Maschinen am anderen Ende der Leitung müssen auf die Netzfrequenz von 50 Hertz abgestimmt sein. Die Generatoren großer Kraftwerke werden so geregelt, dass sie im Rhythmus mit dem Stromnetz bleiben. Das Netz wiederum zwingt den Waschmaschinen, Staubsaugern oder Kühlschränken am anderen Ende der Leitung seine Frequenz auf. So bleiben alle im Gleichtakt. Ohne diesen käme es zu Kurzschlüssen oder Not-Ausschaltungen.
Im Zuge der Energiewende wird sich die Struktur des Stromnetzes aller Voraussicht nach jedoch ändern: Großkraftwerke, die ihre Umgebung beliefern, werden zu einem Gutteil ersetzt durch eine Vielzahl von Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und Äckern, Biogasanlagen auf Feldern sowie durch Windkraft-Anlagen On- und Offshore. Die Leitungen werden also nicht mehr sternförmig vom Kraftwerk zu den Verbrauchern verlaufen, sondern eher wie ein feinmaschiges Fischernetz viele Erzeuger mit den Verbrauchern verbinden. Diese Vielzahl kleiner Generatoren in einen Gleichtakt zu zwingen, halten Experten für sehr schwierig. Es gilt sozusagen, ein riesiges Orchester mit Tausenden Mitgliedern statt eines Kammerorchesters zu dirigieren. Doch wie ein Team um Marc Timme vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen nun festgestellt hat, dürfte die Synchronisation in einem dezentralen Stromnetz sogar leichter sein, weil das Netz mit vielen Stromerzeugern von selbst einen gemeinsamen Rhythmus der Wechselspannung findet.
Die Göttinger Forscher haben ein solches feinmaschiges Netz von kleinen Erzeugern und Stromverbrauchern simuliert. Ihr Computermodell berechnet das Netz eines ganzen Landes (aus praktischen Gründen wählten die Forscher dafür Großbritannien) und berücksichtigt gleichzeitig die Schwingungen aller an das Netz angeschlossenen Generatoren und Motoren. Diese Verbindung aus Detailtiefe und Netzgröße ist neu. Zuvor war die Dynamik des mit 50 Hertz schwingenden Wechselstroms in der Regel nur für kleine Netze simuliert worden.