Simulationen großer Netzwerke gab es zwar auch bereits, diese machten meistens aber nur Vorhersagen über statische Eigenschaften des Netzes, etwa wie viel Strom von A nach B übertragen wird. Die Schwingungen der Generatoren und Motoren ließen diese Modelle außen vor. „Unser Modell ist gerade aufwendig und umfassend genug, um kollektive Effekte in einem komplexen Netzwerk zu simulieren und, was ebenso wichtig ist: Es ist einfach genug, um die Effekte auch zu verstehen“, sagt Dirk Witthaut, Mitarbeiter des Teams.
Die Forscher simulierten sehr viele Netze mit jeweils anderer Struktur. Die Stromnetze bestanden also aus verschiedenen Mischungen von großen und kleinen Generatoren, sowie Leitungen unterschiedlicher Kapazitäten, also gewissermaßen Feldwege und Autobahnen für elektrischen Strom. So konnten die Wissenschaftler Unterschiede zwischen zentral und dezentral organisierten Stromnetzen ausmachen.
Das wichtigste Ergebnis: Wenn viele kleine Generatoren im Netz dominieren, synchronisieren sie sich von selbst untereinander und mit den Motoren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Verbindungsleitungen eine gewisse Kapazität überschreiten. Witthaut erklärt den Effekt so: „In dem feinmaschigen Netzen ist jeder Motor mit jedem anderen verbunden. Dadurch ’spürt‘ sozusagen jeder Motor alle anderen Motoren und stellt sich auf eine Art Durchschnittsschwingung ein, die sich als Mittelwert der Schwingung aller anderen Motoren ergibt.“ Je größer die Kapazitäten der Verbindungsleitungen, desto besser funktioniert diese kollektive Einigung auf eine gemeinsame Schwingung.
Ein feinmaschiges Netz kann den Ausfall einer Leitung leichter kompensieren
Die Göttinger Forscher untersuchten weitere Aspekte, die für den Übergang von einem zentralen zu einem dezentralen Netzwerk diskutiert werden. Etwa die Frage, was passiert, wenn eine einzelne Übertragungsleitung beschädigt ist oder ausfällt. Das kann bei bestehenden Netzen eine Art Domino-Effekt auslösen, wie ein europaweiter Stromausfall im Jahr 2006 zeigte. Dieser war vom Abschalten einer einzigen Leitung in Norddeutschland ausgelöst worden. Laut der Simulationen der Göttinger Wissenschaftler reagieren dezentral organisierte Netze wesentlich robuster auf den Ausfall einer einzelnen Leitung. Der Grund: es gibt im feinmaschigen Netz immer Leitungen in der Nachbarschaft, die die Last einer ausgefallenen Leitung übernehmen können. Anders als im grobmaschigen Netz gibt es wenig unverzichtbare Hauptverbindungen, deren Ausfall ein ganzes Netz lahmlegen kann.
Der Ausbau regenerativer Energiequellen birgt aber auch Herausforderungen für die Stabilität des Stromnetzes. In einer weiteren Simulation fanden die Forscher, dass ein stark dezentralisiertes Netzwerk anfälliger gegen starke Schwankungen auf Verbraucher-Seite ist, wie sie etwa auftreten, wenn Millionen von Menschen gleichzeitig ihre Waschmaschinen anschalten. Große Kraftwerke können solche Fluktuationen besser abpuffern als kleine, da sie in ihren rotierenden Generatoren mehr kinetische Energie speichern. Diese rotierenden Reserven, die Solarzellen komplett fehlen, kann das Netz kurzfristig anzapfen, um Schwankungen zu kompensieren.