Zusätzliche Leitungen können den Stromtransport sogar behindern
In einer zweiten Studie mit dem gleichen Computermodell beobachteten Marc Timme und Dirk Witthaut einen weiteren Effekt, der aus dem Straßenverkehr bekannt ist und der Intuition widerspricht. Der Neubau einer Straße, also eine Erweiterung der Kapazität des Netzes, verbessert nicht unbedingt den Verkehrsfluss. Bei gleichem Verkehrsaufkommen kann es im Gegenteil zu mehr Staus kommen. Dann nämlich, wenn die neue Strecke eine Abkürzung für viele Fahrer bietet, gleichzeitig aber so ungünstig gewählt ist, dass sie Flaschenhälse miteinander verbindet, die zuvor von vielen umfahren wurden.
Timme und Witthaut zeigten, dass dieses Braess-Paradox auch in Stromnetzen auftreten kann, und zwar gerade in dezentralen Netzen. Wenn ein solches feinmaschiges Netz sich selbst synchronisiert, könnte man annehmen, dass die Synchronisation mit jeder neuen Leitung leichter wird. Doch dem ist nicht immer so: eine neugebaute Leitung kann die Selbst-Synchronisation sogar behindern.
Um dieses Paradoxon zu verstehen, hilft ein Blick auf zwei Maschinen in einem feinmaschigen Netzwerk. Auf der Strecke zwischen ihnen liegen weitere Maschinen. Synchron laufen die beiden Maschinen, wenn die Phasen ihrer Schwingungen – die Phase beschreibt den Schwingungszustand zu einem bestimmtem Zeitpunkt an einem bestimmten Ort – in einer festen, mathematisch definierten Beziehung zueinander stehen. Veranschaulichen lässt sich der Zusammenhang mit zwei Uhrpendeln. Die Phase eines Pendels gibt an, wie stark es zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgelenkt ist. Wenn die Pendel mit derselben Frequenz schwingen, besitzen ihre Schwingungen auch eine feste Phasenbeziehung. Das bedeutet nicht, dass die Pendel exakt parallel laufen, also immer gleich weit ausgelenkt sind, vielmehr können die Phasen auch gegeneinander verschoben sein. Doch der Abstand zwischen den schwingenden Pendeln ist für jeden Zeitpunkt festgelegt. Die Zeitpunkte, zu denen sie die gleiche Auslenkung haben wiederholen sich in regelmäßigen Zeitabständen.