Wie reagiert das Netz auf Schwankungen?
Für die Synchronisation zweier Maschinen in einem Stromnetz, das heißt für die Erfüllung der definierten Phasenbeziehung, müssen ihre Spannungen jedoch stets zur gleichen Zeit das Minimum und Maximum durchlaufen. Ihre Phasen dürfen also nicht oder nur um ganze Wellenzüge gegeneinander verschoben sein. Jede Leitung im Netzwerk, egal ob direkt oder über Umwege, ergibt nun eine solche fest definierte Phasenbeziehung. Verbindet also eine zusätzliche Leitung die Maschinen direkt miteinander, müssen ihre Schwingungen gleichzeitig eine neue Phasenbeziehung erfüllen. Diese ist aber nicht mehr unbedingt vereinbar mit der alten Phasenbeziehung. Weil letztere konform ist mit den weiteren auf der alten Strecke liegenden Maschinen, ergibt sich ein Konflikt zwischen Abkürzung und alter Strecke, der zur Desynchronisation des Gesamtnetzes führen kann.
Vorsicht bei Trassen-Neubau!
„Beim Neubau von Leitungen in einem dezentralen Netz ist daher Vorsicht geboten“, sagt Witthaut. Welche Knoten unbesorgt miteinander verbunden werden können, müsse sorgfältig überlegt werden. Der Forscher versteht die Ergebnisse der Simulationen dennoch als Ermutigung für den Bau von dezentralen Netzen. „Bislang blickt man eher sorgenvoll auf mögliche Effekte, die eine große Zahl kleiner Generatoren in einem engmaschigen Netz kollektiv hervorrufen können“, sagt der Physiker. Man habe Angst, dass sie häufiger Stromausfälle verursachen. „Doch unsere Arbeit zeigt, dass eher das Gegenteil der Fall ist und kollektive Effekte sehr nützlich sein können.“ Die Aussage der Wissenschaftler gilt aber bis jetzt nur für den (eher unrealistischen) Fall, dass der Stromverbrauch über die Zeit konstant bleibt, und sie betrachten nur ein Zeitfenster von einigen Sekunden. Nur für diese Annahmen trifft die Aussage zu – selbst da schreiben sie, dass die Tendenz zur Frequenz-Instabilität zwar steige, wenn man das Netz dezentral mache, dass aber dafür die Tendenz zum Powerblackout sinke.
Um ihr Computermodell auch praktisch nutzbar zu machen, streben die Göttinger Forscher die Zusammenarbeit mit Ingenieuren und Netzbetreibern an. Erste Kontakte gibt es bereits. Unterdessen verbessern die Wissenschaftler ihr Modell. Gerade arbeitet das Team daran, auch die witterungsbedingten Schwankungen von regenerativen Energiequellen in den Simulationen zu berücksichtigen.
->Quelle: www.mpg.de – Originalpublikation in PHYSICAL REVIEW LETTERS