Klarer Blick ins Glas

Erste Möglichkeit zur Prüfung eines 80 Jahre alten Strukturvorschlages

Wir haben erstmals direkt beobachtet, welche charakteristischen Elemente die Struktur aufweist und welche Muster in ihr auftreten“, sagt Markus Heyde. Demnach wechseln sich die Silizium- und Sauerstoffatome in einer einzelnen Siliziumdioxidlage ab und formen ein Netz von Ringen, die wie Fettaugen auf einer Brühe aneinander liegen und auch fast so unterschiedliche Größen annehmen – angefangen bei eckigen Ringen mit nur vier Atomen bis hin zu solchen mit neun oder mehr Atomen. Dabei treten sechseckige Ringe am häufigsten auf, und die Ringe werden umso seltener, je weiter die Zahl ihrer Atome von der Sechs abweicht. Eine solche Struktur hatte William H. Zachariasen schon vor 80 Jahren für amorphes Siliziumdioxid vorgeschlagen. Darin umgibt sich jedes Siliziumatom genauso wie im kristallinen Siliziumdioxid in einer Ebene mit drei Sauerstoffatomen. Kristallines Siliziumdioxid bildet in einer Ebene allerdings eine regelmäßige wabenartige Ordnung, die sich ausschließlich aus Sechsecken zusammensetzt.

Überprüfen ließ sich der Strukturvorschlag von William Zachariasen bislang nicht. Denn die Röntgenbeugung, die Methode der Wahl, um Strukturen von Materialien aufzuklären, versagt bei Gläsern und generell bei amorphem Materialien – zumindest, wenn es darum geht, die genauen Positionen der Atome zu bestimmen. Letzteres haben die Berliner Forscher aber mit einem Kniff geschafft: Sie konstruierten ein zweidimensionales Modell eines Glases. Zu diesem Zweck erzeugten sie in einer Vakuumkammer gerade mal zwei Atomlagen Siliziumdioxid auf einen Träger des Edelmetalls Ruthenium, das sie zuvor mit einer Sauerstoffschicht überzogen hatten.

Völlig ebene Struktur ermöglicht Blick auf  Struktur

„Je nachdem wie wir die Temperatur bei der Probenpräparation verändern, und wie viel Silizium und Sauerstoff wir im Vakuum freisetzen, erhalten wir eine amorphe oder eine kristalline Struktur oder sogar eine Mischung aus beiden Strukturen“, erklärt Leonid Lichtenstein, der die verschiedenen Strukturen in seiner Doktorarbeit untersucht hat. Auf diese Weise erzeugten die Forscher Siliziumdioxid-Oberflächen, die so glatt sind, dass sich dagegen selbst die extrem präzise gearbeiteten Glasspiegel der weltweit besten Teleskope wie atomare Hügellandschaften ausnehmen.