Kurzschlüsse in Umspannwerken vielleicht vorhersagbar
Flüssigkeitsfilme und -tröpfchen, die eine raue Oberfläche überziehen, sind ein Alltagsphänomen: Allmorgendlich verwandeln etwa Tautropfen Blätter und Gräser in magische Schönheiten, während ein Film aus Regenwasser auf dem Straßenasphalt (spätestens wenn er gefriert) jedem Autofahrer gefährlich werden kann. Doch wie lässt sich verstehen, unter welchen Bedingungen durchgängige Flüssigkeitsschichten oder nur vereinzelte Tropfen entstehen? Bisherige Theorien dazu beschrieben vor allem ideal glatte – und somit unrealistische – Oberflächen. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen haben nun erstmals eine allgemeine Theorie entwickelt, die auf die Frage nach Film oder Tröpfchen auch für raue Oberflächen eine Antwort liefert. Diese kommt mit verblüffend einfachen mathematischen Ausdrücken aus – und könnte etwa vorhersagen, wann es in Umspannwerken zu Kurzschlüssen kommt. Eben haben sie ihre Ergebnisse veröffentlicht.
Größere Mengen an Flüssigkeiten sind ausgesprochen wandelbar: Mühelos füllen sie jedes Gefäß, passen ihre äußere Form jeder Oberfläche oder Begrenzung an. Mikroskopisch dünne Flüssigkeitsfilme hingegen sind anders. Sie müssen vermitteln zwischen der rauen Oberfläche des Gegenstandes und der freien Flüssigkeitsoberfläche, die wegen der Oberflächenspannung möglichst glatt sein möchte. Bei dieser Gratwanderung kann es etwa energetisch günstiger sein, dass sich auf einer Oberfläche statt eines Films winzige Tröpfchen bilden – wie beim morgendlichen Tau, der Blätter, Spinnennetze und Windschutzscheiben überzieht.
Forschern des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen ist es nun erstmals gelungen, eine allgemeine Theorie für dieses Verhalten aufzustellen, die für die große Mehrheit natürlicher Oberflächen gilt. „Bisher haben sich Physiker bei dieser Frage in erster Linie auf sehr spezielle Oberflächen konzentriert, etwa solche mit regelmäßigen, mikroskopischen Ritzen und Rillen“, erklärt Stephan Herminghaus, Direktor am Göttinger Max-Planck-Institut. Diese lassen sich etwa mit Methoden der Lithographie herstellen und erlauben eine vergleichsweise einfache mathematische Beschreibung.
Dampfdruck und Benetzungswinkel entscheiden über das Verhalten der Flüssigkeit
„Mit den allermeisten Oberflächen aus unserer Alltagswelt – von der Hauswand bis zur Tischplatte – haben sie jedoch nichts zu tun“, gibt der Physiker zu bedenken. Solche „Alltagsoberflächen“ zeichnen sich durch eine unregelmäßige Verteilung mikroskopischer Hügel und Täler aus, deren Größe und Form statistischen Schwankungen unterliegt. „In der Regel haben die Strukturen Abmessungen von vielen Nano- bis zu einigen Mikrometern“, so Herminghaus.
In ihren Rechnungen beschreiben die Göttinger Forscher diese Rauigkeit als statistische Höhenverteilung: Die Berge und Täler treten ungeordnet und ohne Muster auf. Einzige Voraussetzungen sind, dass die Höhen auf der gesamten Oberfläche ähnlich sind und nicht zu stark schwanken. „Dadurch ergeben sich verblüffend einfache Ausdrücke, deren Verständnis kaum mehr als Schulmathematik voraussetzt“, erklärt Herminghaus. In seinem Forschungsfeld, in dem sonst fast ausschließlich komplexe Computersimulationen schwer handhabbarer Gleichungen zum Ziel führen, ist dies eine kleine Sensation.
Die neuen Gleichungen offenbaren, dass das Verhalten von Flüssigkeiten auf einfache Weise von zwei Größen abhängt: dem Benetzungswinkel, der angibt, mit welcher Neigung die Flüssigkeitsoberfläche auf den Untergrund trifft, und dem Dampfdruck in der umgebenden Luft (das heißt der Luftfeuchtigkeit). „Bei ideal glatten Oberflächen spielt der Dampfdruck keine so große Rolle“, erklärt Herminghaus. Dort muss sich die Flüssigkeit nicht in an so viele Randbedingungen, wie sie etwa von mikroskopischen Mulden und Tälern vorgegeben werden, anpassen. Bei rauen Oberflächen hingegen ist der Einfluss beträchtlich: Erhöhen sich Druck oder Winkel nur leicht, kann es geschehen, dass sich ein Flüssigkeitsfilm schlagartig in viele einzelne Tröpfchen verwandelt – oder umgekehrt.