Bei zu hohem Wasserdruck geht der Lotuseffekt verloren
Physiker sprechen in solchen Fällen von einem Übergang zwischen zwei Phasen. In der so genannten nassen Phase bildet die Flüssigkeit einen nahezu durchgängigen Film auf der rauen Oberfläche. Fast alle mikroskopischen Täler sind gefüllt, nur vereinzelt durchbricht ein besonders hoher Hügel die Wasseroberfläche. In der trockenen Phase hingegen bleiben weite Teile der Oberfläche unbenetzt. Stattdessen klumpt die Flüssigkeit zu Tropfen zusammen. „Das System wählt immer die Lösung, die je nach Dampfdruck und Benetzungswinkel am wenigsten Energie erfordert“, so Herminghaus.
Mit diesen neuen Erkenntnissen können die Wissenschaftler nun prinzipiell berechnen, welche Luftfeuchtigkeit erreicht sein muss, damit eine Oberfläche durchgängig nass wird. Für eine Prognose ist es dann lediglich notwendig, die statistischen Eigenschaften der Oberflächenrauigkeit zu kennen. Interessant könnten solche Überlegungen etwa für die Betreiber von Umspannwerken sein. Überzieht dort ein geschlossener Flüssigkeitsfilm die Isolatoren, kann es zu Kurzschlüssen kommen. „Sobald sie durch Verwitterung rau werden, erfüllen die Keramiken, die dort eingesetzt werden, in etwa unsere Voraussetzungen“, so Herminghaus. Zum Vorhersagen feuchter Kellerwände seien die neuen Ergebnisse hingegen noch nicht geeignet. Manche Materialien sind dafür zu uneinheitlich: Ziegelsteine etwa sind zu grobporig und zu stark strukturiert. Für diese Stoffe müsste die Theorie erst noch erweitert werden.
Auch für den Lotus-Effekt, bei dem Flüssigkeitstropfen elegant von rauen Oberflächen abperlen, spielen die neuen Erkenntnisse eine Rolle. Dort spielt allerdings ein dünner Luftfilm die Rolle der Flüssigkeit und das Wasser übernimmt den Part der Luft. Füllt ein solcher Film die Täler der Oberfläche aus, können Wassertropfen nicht eindringen. Sie schweben auf einer Art mikroskopischem Luftkissen und perlen ab. Erst wenn diese durchgängige Luftschicht zusammenbricht, weil der Druck des Wassers zu groß wird, kann die Feuchtigkeit in die Vertiefungen eindringen und die Blattoberfläche benetzen.
->Quelle: www.mpg.de;