Genetische Variationen das Rohmaterial der Evolution
Der Klimawandel hat Auswirkungen auf alle Lebewesen und Ökosysteme, unter anderem bedrohe er die genetische Vielfalt innerhalb von Arten. Das ist das Ergebnis einer im Fachjournal Molecular Ecology veröffentlichten Übersichtsstudie. Forscher des Biodiversität und Klima Forschungszentrums, der Frankfurter Goethe-Universität und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung haben darin die möglichen Folgen der genetischen Verarmung zusammengefasst.
Genetische Variationen innerhalb von Arten seien das Rohmaterial der Evolution, ohne sie könnten sich Populationen nicht an ihre Umwelt anpassen und keine neuen Arten entwickeln. Die Vielfalt im Erbgut von Arten und Populationen sei daher die Grundlage für künftige evolutionäre Entwicklungen. Sie spiele zudem eine entscheidende Rolle für die Fitness von Individuen einer Art und für die Stressresistenz ganzer Populationen. Wenn alle Mitglieder einer Population die gleichen Gene hätten, sei die Gefahr groß, dass alle gemeinsam einer Krankheit oder widrigen Umweltverhältnissen zum Opfer fielen, oder schnell an den Rand ihrer Überlebensfähigkeit kämen. Aus den Agrarwissenschaften etwa sei seit langem bekannt, dass die Fokussierung auf wenige Sorten mit untereinander nah verwandten Individuen deren Anpassungspotential an Umweltbedingungen und deren Resistenz gegenüber Parasiten und Krankheitserregern gefährlich verringere. „Ein zu kleiner Genpool kann für eine Art oder eine Population problematisch werden, wenn etwa neue Krankheitserreger erscheinen“, so Markus Pfenninger, Professor für Molekulare Ökologie an der Goethe-Universität und am Biodiversität und Klima Forschungszentrum.
Entwicklung durch weitere Eingriffe verstärkt
Für die Übersichtsstudie habe das Frankfurter Team ca. 200 wissenschaftliche Artikel und Datensammlungen zu den Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die genetische Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten ausgewertet. Die Studie belege, dass der Klimawandel die genetische Vielfalt beeinflusse und in vielen Fällen bedrohe– etwa, wenn ganze Populationen in neue Lebensräume abwandern müssten. „Unser Review belegt, dass die Berücksichtigung genetischer Vielfalt ganz zentral ist, wenn wir die Folgen des Klimawandels für die Biodiversität verstehen und abschätzen wollen“, sagte Steffen Pauls (BiK-F), einer der Autoren der Studie. Die Übersichtsstudie verdeutliche auch, dass die Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die genetische Diversität bislang noch viel zu wenig im Fokus der Wissenschaft stünden – und dies, obwohl die durch den Klimawandel ausgelösten Prozesse die genetische Ausstattung vieler Arten reduzierten oder zumindest in einzelnen Populationen stark veränderten. „Dies wird durch weitere Eingriffe des Menschen in die Ökosysteme noch verstärkt“, betonte Markus Pfenninger. „Deshalb muss der Schwund an innerartlicher Vielfalt künftig besser erforscht werden“.
Genetische Vielfalt sei nicht nur von akademischem Interesse, sie habe auch direkte Konsequenzen für das Wohlergehen von Menschen. Der globale ökonomische Wert aller jährlich durch die Ökosysteme erbrachten Dienstleistungen wie Nahrungsmittel, Medikamente, sauberes Wasser und Atemluft liege bei etwa 25 Billionen Euro. Allerdings könne die Natur diese Leistungen nur zur Verfügung stellen, wenn sie Schädlingen, Krankheiten oder anderen Störungen weitgehend zu trotzen vermöge – und dies sei nur durch eine vielfältige genetische Ausstattung gewährleistet.
Gezielte Schutzmaßnahmen für bedrohte Arten
Um den Verlust genetischer Diversität einzelner Arten künftig besser absehen zu können, stellt das BiK-F-Forscherteam in einem kürzlich in der Fachzeitschrift BMC Evolutionary Biology erschienenen Artikel eine neue Methode vor, die den möglichen Rückgang statistisch valide abschätzbar mache. Ihre Besonderheit liege darin, dass sie nicht nur für künftige Studien anwendbar sei, sondern dass auch vorhandene Datensätze entsprechend ausgewertet werden könnten. Dadurch ließe sich besser beurteilen, welche Arten von einem Klimawandel-induzierten Verlust an genetischer Diversität besonders betroffen sein werden. Für diese Arten könnten dann gezielt Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
->Quelle: www.bik-f.de