Seit 2009 beschäftigen wir uns eigentlich unablässig mit dem Management der Krise, sei es im Euro-Bereich oder in der Europäischen Union insgesamt. Nun gibt es einen Effekt, den wir so auch nicht vorausgesehen haben, nämlich dass wir durch die sin kenden Wachstumsraten längst nicht einen Anstieg der CO2-Emissionen in Europa erlebt haben, wie wir ihn eigentlich vorausgesagt haben. Das ist einerseits gut. Aber das ist andererseits für das, was wir uns als marktwirtschaftliches Instrument gedacht haben, nämlich den CO2-Zertifikatehandel, nicht gut. Nun ist die Diskussion
entbrannt – Stichwort Backloading –: Soll man nun die Annahmen, die man gemacht hat, revidieren? Oder soll man, wenn es sich um ein marktwirtschaftliches Instrument handelt, eben die marktwirtschaftlichen Kräfte walten lassen, woraus sich dann der Preis ergibt?
Ich persönlich sage: Wenn man ein marktwirtschaftliches Instrument hat, bei dem die Annahme über die Wachstumsraten eine wesentliche Rolle spielt, und die Wachstumsraten alles andere als das sind, was man angenommen hat, dann kann die Frage, ob man das noch einmal revidieren muss, kein Tabu sein. Bei dieser Frage, das sage ich ganz offen, sind wir in Deutschland nicht entschieden. Hier bringen unterschiedliche Kräfte ihre Argumente vor, weil wir in Deutschland ein zusätzliches Problem haben. Wir haben einen rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir brauchen am Tag eine verfügbare Leistung von 60, 70 oder im Winter sogar einmal 75 Gigawatt. Wir haben jetzt bald 30 Gigawatt Sonnenenergie installiert. Wir haben rund 25 Gigawatt Windenergie installiert. Wenn in Deutschland die Sonne scheint, dann weht meistens auch ein bisschen Wind. Das heißt, wir haben Stunden, in denen wir fast den gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Energien decken können. Wir haben aber auch viele Stunden am Tag, in denen wir die grundlastfähigen Kraftwerke brauchen, weil wir nicht ausreichend viele Speicher haben und auch noch nicht ausreichend viele Leitungen gebaut haben. Deshalb sagt die deutsche Wirtschaft: Wir sind bereit, auch über Backloading zu diskutieren. Wir wollen aber nicht alles einzeln regeln, sondern wir brauchen ein Gesamtsystem.
Eines ist klar: Wir müssen in Deutschland die Erzeugung erneuerbarer Energien auf der rechtlichen Grundlage des sogenannten Erneuerbare-Energien-Gesetzes reformieren, um einen harmonischen Weiterausbau der erneuerbaren Energien, einen besseren Ausbau der Speicher und vor allen Dingen einen dazu passenden Ausbau der Leitungssysteme gewährleisten zu können. Strom soll natürlich nicht nur CO2-frei sein und nicht nur aus erneuerbaren Energien stammen, sondern muss auch bezahlbar sein und darf den Industriestandort Deutschland nicht gefährden.
Deshalb sage ich: Wenn es uns gelingt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu reformieren, was sich im Augenblick sehr schwierig gestaltet – nicht nur, weil wir bald eine Wahl haben werden, sondern weil natürlich viele in die erneuerbaren Energien investiert haben oder investieren wollen und sich
deshalb nicht so gern bereit erklären, sich jetzt für das Gesamtsystem zu interessieren –, werden wir uns sicherlich auch noch einmal dem Backloading zuwenden können. Ich glaube, dann finden wir im Gesamtzusammenhang eine Lösung. Nun aber zu behaupten, Europa sei nicht mehr Vorreiter im Klimaschutz, weil ein Beschluss im Europäischen Parlament gegen das Backloading gefasst wurde, finde ich völlig unangemessen. Europa leistet viel. Europa wird auch weiter viel leisten. Unser Problem ist mit Blick über Europa hinaus eher, dass wir alles allein machen und gleichzeitig in
einer schwierigen wirtschaftlichen Lage sind. Das Problem ist nicht, dass wir zu wenig machen.