Mit neuartigen Materialien können Leitungen mehr Strom transportieren. Pilotversuche testen die Praxistauglichkeit.
Das deutsche Stromnetz muss leistungsfähiger werden. Dafür braucht es nicht nur neue Stromtrassen, sondern auch technisch neuartige Leitungen. Ein vielversprechender Ansatz sind Freileitungen, die höhere Betriebstemperaturen vertragen. Denn als Faustregel gilt: Fließt Strom durch einen Leiter, erhitzt er sich. Je mehr Strom übertragen wird, desto höher steigt die Temperatur. Heute übliche Freileitungen, auch Leiterseile genannt, bestehen komplett aus Metall, einem Stahlkern und darum gewickelten Aluminiumdrähten. Sie halten maximal 80 Grad Celsius aus, sonst droht dauerhafter Schaden.
Leitungskapazität steigt um 40 Prozent
Hochtemperaturleiterseile funktionieren dagegen bei bis zu 200 Grad Celsius. Denn sie nutzen spezielle Aluminiumlegierungen für das Leitermaterial. Im Dauerbetrieb können sie rund 40 Prozent mehr Strom übertragen als die Standardprodukte, kurzfristig sogar doppelt so viel.
In den USA oder Frankreich sind solche Superleiter schon im Einsatz, um große Strommengen zu transportieren. Hierzulande sorgt die stetig wachsende Einspeisung aus Erneuerbaren Energien für Bedarf an höheren Übertragungskapazitäten. Die Superleiter wären eine mögliche Lösung. Derzeit laufen Tests, um Praxiserfahrungen zu sammeln. Den Anfang machte RWE im Sommer vorigen Jahres.
Auf einem zwölf Kilometer langen Teilstück des Verteilnetzes im Hunsrück sind seitdem Hochtemperaturseile im Einsatz. Das zweite Projekt startete der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz im Dezember 2012 auf dem 18 Kilometer langen Teilstück einer Höchstspannungstrasse im Thüringer Wald. Wie ein traditioneller Leiter basiert das hier verbaute Leiterseil auf einem Stahlkern. Der ist aber so verändert, dass er deutlich höhere Temperaturen verträgt. So gelang es, die Kapazität auf dieser wichtigen Verbindung von 1.800 Megawatt auf 2.100 Megawatt zu erhöhen. Die Steigerung um 300 Megawatt entspricht etwa der Leistung eines mittelgroßen Kohlekraftwerks.
Praxistest in Norddeutschland
Im Rahmen der Energieforschung zum Thema „Netze für die Stromversorgung der Zukunft“ werden nun auch neue Leitertechnologien untersucht. Der Netzbetreiber Tennet und die RWTH Aachen nehmen drei Leitungstypen unter die Lupe. Sie nutzen hitzebeständigere Materialien im Leiterkern wie Aluminium-Keramik-Verbindungen und Kohlefasern. Dieser innovative Ansatz sorgt neben der höheren Übertragungskapazität auch für einen geringeren Durchhang der Leitungen im Sommer. In der warmen Jahreszeit dehnt sich durch die hohen Temperaturen im Inneren der Leitung und der Umgebungsluft normalerweise das Material aus. Um wie viel geringer der Durchhang der neuen Leitertypen ist, soll der Praxistest zeigen. Der Test findet ab Sommer dieses Jahres auf einer Höchstspannungstrasse zwischen Stade und Dollern statt und soll zwölf Monate dauern.
Den Vorteilen von mehr Übertragungskapazität stehen bei allen derzeit getesteten Leitungstypen allerdings höhere Kosten gegenüber. Die heißen Leitungen sind sechs bis zehn Mal teurer als Standardprodukte. Für den flächendeckenden Einsatz sind sie daher noch nicht geeignet. Aber für besonders stark belastete Teilstücke wären sie eine Alternative.
->Quelle: bmwi-energiewende.de