„Nukleare Entsorgung im Konsens regeln“
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mit der heutigen ersten Lesung des Standortauswahlgesetzes zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle schlagen wir ein neues Kapitel in der langen und zugleich auch wechselvollen Kernenergiepolitik unseres Landes auf. Es wird eines der letzten Kapitel sein. Wir wollen und wir werden dieses Kapitel gemeinsam gestalten.
In Deutschland hat man sich frühzeitig, früher als in vielen anderen Ländern, die Kernkraftwerke gebaut und betrieben haben, mit der Frage der sicheren Entsorgung beschäftigt. Der Standort Gorleben wurde nach den damaligen Vorstellungen ausgewählt. Es wurde mit der Erkundung des Salzstocks begonnen; aber ein Endlager -haben wir bis zum heutigen Tage nicht. Die Entscheidungen waren fachlich und politisch umstritten. Nie ist es gelungen, einen Konsens, eine allgemein akzeptierte Lösung zu gestalten.
Damit gehört die 30-jährige Debatte über diese Frage zu den großen, aber nicht unbedingt zu den vorbildlichen Debatten in der Geschichte der alten Bundesrepublik und des wiedervereinigten Deutschlands. Nach einem jahrzehntelangen Streit und gesellschaftlichen Konflikten in der Frage, wo und wie radioaktive Abfälle langzeitsicher entsorgt werden können, ist der nun erzielte Konsens ein historischer Durchbruch. Er folgt dem breiten Konsens aus dem Jahre 2011 über den schrittweisen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie bis zum Jahre 2022. Damit geht das Zeitalter der Kernenergie in Deutschland definitiv zu Ende. Egal wie man in den letzten Jahren zur friedlichen Nutzung der Kernenergie stand oder wie man heute dazu steht, egal welche Überzeugungen auf den unterschiedlichen Seiten dieses Hauses vorherrschten: Es gibt heute einen breiten, einen soliden, einen parteiübergreifenden Konsens, dass die Kernenergie für die Energieversorgung der Zukunft in Deutschland keine Option mehr darstellt.
Es ist wichtig, dass wir diesen Konsens über alle kontroversen Debatten hinweg aufrechterhalten und nach außen sichtbar machen. Dies entspricht auch dem Wunsch der großen Mehrheit der Menschen in Deutschland, wie Umfragen immer wieder zeigen. Ein jahrzehntelanger tiefer Konflikt in Politik und Gesellschaft, vermutlich der größte und längste in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes, ist damit gelöst worden, ein Konflikt, der unsere Gesellschaft auch gespalten und die Politik manchmal geradezu gelähmt hat, ein Konflikt, der mit heftigen Demonstrationen, großen Polizeiaufgeboten und leider manchmal auch mit Gewalt und Verletzten einherging. Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben – alle hier im Saal wissen, wovon ich spreche. Deshalb liegt es mir am Beginn der Beratungen auch am Herzen, all den friedlichen Demonstranten, die jahre- und oftmals jahrzehntelang für ihre Überzeugung gekämpft haben, aber auch den vielen Tausend Polizisten, die all die Jahre unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit für Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit gesorgt haben, meinen Respekt und meine Hochachtung auszusprechen. Herzlichen Dank!
Wenn wir uns die Dimension dieses Konfliktes vor Augen halten, dann wird klar, dass die Einigung in der Endlagerfrage, die wir am 9. April 2013 erzielt haben, mit Fug und Recht als Durchbruch bezeichnet werden darf. Einige der Teilnehmer, die nicht meiner Partei angehören, sprachen sogar von einem historischen Durchbruch. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Das Erreichte hat nicht nur für die Gegenwart Bedeutung. Es wirkt vor allem für unsere Zukunft; denn Maßstab des politischen Handelns heute müssen Sicherheit und Lebensqualität der nach uns kommenden Generationen sein. Darum muss die Generation, die das Problem verursacht hat, es auch lösen. Sie muss zumindest die Lösung auf den Weg bringen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Problem der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle heute für die Zukunft gemeinsam anpacken, und zwar partei- und fraktionsübergreifend. Im Übrigen: Wir haben diese Gespräche in einer Zeit geführt, in der wir uns auch auf eine wichtige Wahlentscheidung vorbereiten. Dass alle Beteiligten sehr konkrete, aber zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, wie diese Wahlentscheidung ausfallen wird, muss nicht negativ sein. Wahrscheinlich ist es sogar positiv, wenn es darum geht, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, was die Wahlauseinandersetzungen übersteht.