Hunderte Wissenschaftler beraten in Potsdam über Folgen der Erderwärmung
In Potsdam hat am 27.05.2013 die erste Weltkonferenz zu Klimafolgen begonnen. Im Mittelpunkt von „Impacts World 2013“ stehen mögliche Szenarien, die mit der Erwärmung des Weltklimas einhergehen würden. In Europa könnte die schon bestehende Spaltung durch die Erderwärmung extremer werden, sagte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, vor der Tagung: Die Trockenheit könnte in den Ländern, die zurzeit ohnehin schon unter einer Wirtschaftskrise leiden, zu Ertragseinbußen in der Landwirtschaft, steigender Arbeitslosigkeit und sozialen Ungleichheiten führen.
In Potsdam tragen internationale Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse zum Klimawandel zusammen.Andererseits aber hatten Wissenschaftler erst kürzlich gemeldet, dass sich die Erwärmung der Erde einer neuen Studie zufolge in den kommenden Jahrzehnten langsamer vollziehen werde als bislang berechnet. Es sei unwahrscheinlich, dass die extremen Szenarien für die Erderwärmung in den kommenden 50 bis 100 Jahren eintreten werden, schrieben internationale Forscher-Teams der Universität Oxford in der Fachzeitschrift „Nature Geoscience„. Langfristig ändere dies aber nichts an den erwarteten katastrophalen Folgen des Klimawandels.
Die Pressemitteilung des PIK: Erste weltweite Konferenz zu Klimafolgen: Das große Ganze
Dürren, Überschwemmungen, Ernteausfälle, sich ausbreitende Krankheiten – die Auswirkungen des Klimawandels werden von zahlreichen Schlagworten begleitet. Doch die Wissenschaft zu den möglichen Folgen globaler Erwärmung ist sowohl weitaus breiter als auch deutlich fragmentierter.
Erstmals kommen diese Woche Wissenschaftler und Entscheidungsträger aus allen Teilen der Welt zusammen, um die Klimafolgenforschung in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Auf der „Impacts World 2013“ Konferenz in Potsdam soll eine neue Forschungs-Agenda entwickelt werden, um Forschungslücken systematisch aufzugreifen. Zu den Teilnehmern gehören Spitzen-Entscheider wie EU-Kommissarin Connie Hedegaard und Rachel Kyte von der Weltbank genauso wie herausragende Wissenschaftler wie Cynthia Rosenzweig von der US-amerikanischen NASA-Klimaforschungsabteilung und Joseph Alcamo vom UN-Umweltprogramm.
„Für faktenbasierte Entscheidungsfindung in einer Welt, die mit einem so nie dagewesenen Klimawandel konfrontiert ist, ist es Zeit für eine neue Ära der Folgenforschung – und wir sind sehr stolz, Gastgeber zu sein, jetzt wo es um diesen entscheidenden Schritt nach vorn geht“, sagt Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Dieses hat gemeinsam mit dem Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) geholfen, dieses von der Wissenschaftsgemeinschaft getragene Projekt zu organisieren. [nextpage]
Der Beginn einer mühevollen Integration
„Dies bedeutet aber auch, dahin zu gehen, wo es weh tut“, betont Schellnhuber. Eindrucksvolle Fallstudien und Pionierarbeit bei der Computersimulation einzelner Sektoren, etwa des Wassermanagements oder der Landwirtschaft, sind die Grundlage, um jetzt die mühevolle Integration der Ergebnisse über alle Grenzen hinweg zu wagen. Es geht darum, die Punkte zu einem großen Ganzen zu verbinden – und die Terra Incognita für immer zu verlassen.“
Klimafolgenforschung ist ein relativ junger Zweig der Forschung zum globalen Wandel. Elementare Physik, sorgfältige Beobachtungen und moderne Computersimulationen lassen uns heute sehr sicher sein, dass der Ausstoß von Treibhausgasen zu Klimawandel führt. Klar ist auch, dass bei signifikanter globaler Erwärmung langfristig negative Effekte, wie etwa verringerter Niederschlag in bereits wasserarmen Gebieten, die positiven Effekte wie die CO2-Düngung bei Pflanzen überwiegen. Computersimulationen von Klimafolgen aber müssen mit Unsicherheiten und enormer Komplexität zurechtkommen. Die Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesellschaft wird besonders kompliziert durch Wechselwirkungen innerhalb der einzelnen Sektoren, etwa die Auswirkungen von Ökosystemänderungen auf die Verbreitung von Malaria oder die Folgen der Ozeanversauerung und Küstenerosion für globale Nahrungsmittelketten.
Stakeholder auf schwere Entscheidungen vorbereiten
„Entscheidungsträger sind mit signifikanten Unsicherheiten konfrontiert, wenn es um die Abschätzung des Ausmaßes von Klimafolgen und ihrer genauen Verteilung in Raum und Zeit geht“, sagt Schellnhuber. „Die Wissenschaft kann sie darin unterstützen, eine Perspektive des Risikomanagements einzunehmen – einige Auswirkungen des Klimawandels werden vielleicht mit nur geringer Wahrscheinlichkeit eintreten, dafür aber inakzeptable Schäden verursachen, so dass sie vorsorglich besser vermieden werden sollten.“ Solche Folgen würden die Lebensgrundlage von Millionen Menschen erheblich beeinträchtigen. „Wir können die Zukunft nicht voraussagen“, sagt Schellnhuber. „Aber wir gestalten sie, an jedem einzelnen Tag.“
Wie lassen sich Kettenreaktionen abschätzen, die durch zukünftige Extremereignisse ausgelöst werden könnten? Wie lässt sich unsere Erfassung von Beobachtungsdaten vervollständigen, und wie können wir mit lückenhaften Datensätzen umgehen? Wie können wir die Robustheit von Computersimulationen vergrößern und Klimafolgenmodelle konsequent verbessern? Können wir den Eintrittszeitpunkt von Klimafolgen eingrenzen, um passgenauere Anpassungsstrategien zu entwickeln? Dies sind nur einige der Fragen, mit denen die Wissenschaftler sich befassen werden. Die Diskussion wird dazu beitragen, die Agenda in einem der weltweit wichtigsten Wissenschaftsfelder voranzubringen.
Die Ergebnisse, die auf der Impacts World 2013 diskutiert werden, sind Teil der ungeheuer großen Menge von wissenschaftlichem Material, das in den 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC eingeht. Bei der Konferenz vorgestellt werden auch Resultate des Intersectoral Impacts Model Intercomparison Project (ISI-MIP). Dieses hat es zum ersten Mal geschafft, eine umfassende modellbasierte Analyse von globalen Klimafolgen quer durch unterschiedliche Sektoren vorzulegen, von der Landwirtschaft bis zur Gesundheit. [nextpage]
Connie Hedegaard, Europa-Kommissarin für Klimaschutz: „Den weltweiten Ausstoß von Treihausgasen zu verringern, muss unsere erste Priorität bleiben, um die globale Erwärmung unter 2°C zu halten und gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Dennoch werden die negativen Effekte eines sich verändernden Klimas in Europa heute immer deutlicher. Die Anpassung an diese Veränderungen ist eine der fundamentalsten Herausforderungen für die räumliche Entwicklung Europas. Darum hat die Europäische Kommission eine Strategie entwickelt, die den Entscheidungsträgern helfen soll, die besten Lösungen zugunsten ihrer Bürger zu wählen. Das wird das Wachstum anregen, Arbeitsplätze schaffen und später mögliche hohe menschliche und ökonomische Kosten und Umweltkosten vermeiden. Für faktenbasierte Strategien, und aus einer Perspektive des Risiko-Managements, brauchen Politiker wie wir solide Informationen über mögliche Folgen des Klimawandels, und niemand anderes als die Wissenschaft kann uns diese geben. Ich begrüße daher sehr, dass die Forschung mit dieser Konferenz eine große Anstrengung unternimmt, um uns zu unterstützen.“
Rachel Kyte, Weltbank-Vizepräsidentin für nachhaltige Entwicklung: „Der Klimawandel birgt das Risiko, Millionen Menschen in Armut zu stürzen. Die bei dieser Konferenz versammelten Wissenschaftler können uns dabei helfen, die Effekte zu verstehen und diese effektiv zu kommunizieren. Die Verringerung der Klimarisiken für die ärmsten Menschen der Welt ist ein ökonomisches, soziales und moralisches Gebot für jene, die in der Entwicklungshilfe tätig sind, und eigentlich für uns alle.“
Pavel Kabat, Direktor des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA): „Es ist wichtig zu verstehen, wie der Klimawandel sich auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft auswirken wird, und genau das tut diese Konferenz. Sie bringt internationale und interdisziplinäre Forscher zusammen, die aus einer Perspektive der Systemforschung an einem besseren Verständnis von Klimafolgen arbeiten. Nur durch solch einen integrativen Ansatz können wir nützliche Information schaffen, die den politischen Entscheidern helfen, effektive Lösungen zu entwickeln.“
Chris Field, Carnegie Institution for Science in Stanford und Leiter der Arbeitsgruppe II des IPCC: „Die hier auf der Konferenz diskutierte Arbeit ist wichtig für den IPCC, die wissenschaftliche Gemeinschaft und die ganze Welt. Eine effektive Klimafolgenforschung zu gestalten gehört zu den größten wissenschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Diese Forschung ist absolut notwendig, um kluge, wohlinformierte Entscheidungen als Antwort auf den Klimawandel zu fördern. Dennoch war es bislang schwierig, eine wirklich anwendbare Forschung zu konzipieren, umzusetzen und zu bewerten. Einige Aspekte dieses Problems sind konzeptioneller Natur. Es gibt zahllose Möglichkeiten künftiger Welten, und jede hat unterschiedliche Implikationen für die Folgen des Klimawandels. Andere Aspekte sind praktischer Natur. Traditionelle Folgenstudien sind schwer miteinander zu vergleichen, da sie Ergebnis verschiedener Szenarien, Klimamodelle, Durchschnittszeiträume oder weiterer Facetten sind. Weitere Aspekte sind wiederum statistischer Natur. Wenige Folgenstudien lassen sich problemlos in Risikoabschätzungen übersetzen, denn die volle Bandbreite möglicher Ergebnisse kann selten untersucht werden. Es ist wunderbar, dass diese Herausforderungen auf der Impacts World 2013 und insbesondere im Rahmen des ISI-MIP Projekts diskutiert werden. Ich freue mich darauf, die Ergebnisse dieser Forschung kennenzulernen, und gemeinsam Wege zu finden, darauf aufzubauen.“[nextpage]
Cynthia Rosenzweig, NASA Goddard Institut für Weltraumstudien (GISS): „Der weltweite Landwirtschaftssektor sieht sich einer bedeutenden Herausforderung ausgesetzt, nämlich der Verbesserung der Ernährungssicherheit für eine Bevölkerung, die bis Mitte des Jahrhunderts auf 9 Milliarden Menschen ansteigen wird – wobei es gleichzeitig gilt, die Umwelt und die Funktion der Ökosysteme zu schützen. Diese Herausforderung ist verbunden mit der Notwendigkeit, sich an den Klimawandel anzupassen, und dabei die potentiellen Vorteile zu nutzen und die potentiellen negativen Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion zu minimieren. Das Agricultural Model Intercomparison and Improvement Project (AgMIP) ist ein wichtiges internationales Projekt, das die Modellierer von Computersimulationen zum Klima, zu Erträgen und zur Wirtschaft mit moderner Informationstechnologie verbindet, um verbesserte Ertrags- und Wirtschaftmodelle und die nächste Generation von Klimafolgenprognosen für den Landwirtschaftsektor zu schaffen. Ich weiß, dass andere Sektoren und die Wissenschaftler, die Klimafolgen untersuchen, mit ähnlichen Fragen konfrontiert sind. Ich begrüße, dass die Impacts World Konferenz die Gelegenheit bietet, diese Herausforderungen zu diskutieren, einige Lehren der AgMIP zu vermitteln, und eine Zusammenarbeit aufzubauen.“
Nigel Arnell, Universität Reading, Großbritannien: „Ein gewisses Maß an Klimawandel ist mittlerweile unvermeidlich, und wir müssen uns an sich ändernde Wettersysteme anpassen. Dafür müssen wir wissen, welche Auswirkungen und Folgen Klimaveränderungen mit sich bringen können – wir müssen wissen, welche Folgen wahrscheinlich sind, welche möglich sind, und welche dies nicht sind. Daher müssen wir in der Lage sein, die möglichen Auswirkungen des Klimawandels zu modellieren, nicht nur auf der lokalen Ebene, sondern auch regional und global, da viele unserer Aktivitäten internationalisiert sind – zum Beispiel unsere globalen Versorgungsketten. Die Impacts World Konferenz bietet für die Klimafolgenforschung eine exzellente Gelegenheit zum Austausch von Informationen und Ideen. Ich bin besonders gespannt auf neue Entwicklungen der Modellierung von Klimafolgen, und an der Diskussion darüber, wie die Unsicherheit in Wirkungsmodellen bei unseren Bewertungen und Anpassungsentscheidungen berücksichtigt werden kann.“
->Quelle und weiterlesen: inforadio.de; pik-potsdam.de