Märkte sind zukunftsblind
Märkte sind zukunftsblind. Wer das bestreitet, aber gleichzeitig „revolutionäre Ziele“ (Angela Merkel) der Energiewende für 2050 anstrebt, verstrickt sich in ein unlösbares Dilemma. Um es deutlich zu sagen: Die Energiewende wird scheitern, wenn die Prozessverantwortung für die Energiewende dem Markt und damit der strukturellen Richtungslosigkeit überlassen wird. Das wäre, um im Berufsbild unseres Wirtschaftsministers zu bleiben, vergleichbar mit der Vorstellung: Die Natur heilt jede Krankheit, wenn die Ärzte ihr nicht ins Handwerk pfuschen!
Der Glaube an die Selbstregulierung des Energiemarkts ist nicht nur theoretisch und empirisch vielfach widerlegt (vgl. Enquete Kommission 2002 Jochem 2004, Hennicke 1999), als Leitidee für die Energiewende und für den Klima- und Ressourcenschutz ist er buchstäblich gemeingefährlich. Um es mit Kurt Biedenkopf zu sagen: „Der Markt ist eine geplante Veranstaltung“. Das heißt für den Klima- und Ressourcenschutz: Ohne gesellschaftliche Zielsetzung, quantifizierte Leitplanken und verantwortliche Verpflichtungen wird uns der Markt nicht zur Energiewende, sondern in ein Klimadesaster führen. Vergleicht man globale Referenz-Energieszenarien, die den bisherigen Politikrahmen in Bezug auf den langfristigen Anstieg der C02-Konzentration fortschreiben, dann entsteht ein übereinstimmendes Bild einer katastrophalen Entwicklung, wie sie niemals eintreten darf (vgl. IPCC 2012; IEA 2012). Die aktuellen Indikatoren (z. B. Hitzewellen, Überflutungen, Eisschmelze) und die Trendprognosen des Klimawandels (Weltbank / PIK 2012) sind alarmierender als noch vor Jahren. Zu viele befassen sich immer noch mit überholter Rhetorik zu „Markt- versus Planwirtschaft“ statt aktiv zu handeln und durch innovative und verpflichtende Rahmensetzung Markt und Profit eine nachhaltige Richtung zu geben.
Auch die Wirtschaft tut sich keinen Gefallen, wenn sie von der Politik mehr Planungs- und Investitionssicherheit einfordert, dann aber gegen Dirigismus wettert, wenn die Politik mit verbindlichen Leitlinien ernst macht.
Energiesparen ist keine Last, sondern ein Gewinn
Die Tragik der öffentlichen Debatte liegt darin, dass sie beim Klima- und Ressourcenschutz in der Regel von „burden sharing“ ausgeht, statt über eine gerechte Verteilung von „profit sharing“ – gerade auch zwischen den Hauptverursachern (den Industrieländern) und den Hauptleidtragenden (den Entwicklungsländern) – zu diskutieren und entsprechende Konzept voranzutreiben (z.B. Einnahmen aus Öko-Steuer oder Emissionshandel teilen). Das gilt besonders für die Voraussetzungen und wirtschaftlich attraktiven Wirkungen einer Energieeffizienzpolitik. Es geht dabei nicht um die Scheinalternative „Markt oder Staat“, sondern darum, wie die für Klima- und Ressourcenschutz notwendige forcierte staatliche Energiesparpolitik innerhalb verbindlicher staatlicher Leitplanken, zielkongruent, effizient und volkswirtschaftlich vorteilhaft umgesetzt wird. Energiesparen ist keine Last, wie einige in Politik und Energiekonzernen immer noch glauben, viel mehr ist Energiesparen ein Jackpot um die ökologische Modernisierung Deutschlands und anderer Länder voranzutreiben. Dafür gibt es eine wachsende Zahl von wissenschaftlichen Belegen (z.B. PIK et al. 2011; WI / IZES / BEA 2011; IFEU et al. 2011). Energieeffizienzpolitik ist die einzige Energiekostenbremse, die gleichzeitig auf dem größten globalen Leitmarkt der Zukunft (Schätzung: eine Billion € in 2020; vergl. UBA 2012) mehr Geschäftsfelder, mehr Arbeitsplätze, mehr Wettbewerbsfähigkeit und weniger Importabhängigkeit für den Standort Deutschland schafft.
Trotz dieser nachgewiesenen wirtschaftlichen Vorteile ist erstaunlicherweise eine simple Frage unbeantwortet: Wer trägt die gesamtgesellschaftliche Prozessverantwortung für die Umsetzung der Energieeffizienzziele bei der Energiewende? Nach dem Marktdogma sind „wir alle“ und daher letztlich niemand für das Ganze verantwortlich. Diese gesamtwirtschaftliche Verantwortungslosigkeit hätte fatale wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen, wenn sie weiter anhalten würde.
Minister Rösler outet sich mit Hinweis auf die Wärmedämmung seines Altbaus als Fan der Energieeffizienz: „Ich bin ein großer Anhänger von Energieeffizienz. Was nicht verbraucht wird, muss auch nicht erzeugt werden“. Für diese Einsicht gebührt dem Bürger Rösler Lob. Als Minister muss er sich aber daran messen lassen, wie er seine Prozessverantwortlichkeit für die Energieeffizienz wahrnimmt. Hierzu schreibt eine regierungsoffizielle Expertenkommission: „Ohne weitergehende Maßnahmen werden die Effizienzziele der Energiewende nicht erreicht […] Allerdings verweist das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) darauf, dass es für Verkehr und Gebäude nicht zuständig ist“. (SPIEGEL ONLINE, 18.12.2012) Wenn der für Energieeffizienz verantwortliche Minister nach seinem Selbstverständnis für gut 70 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Effizienzpotentials bei der Gebäudesanierung und bei der nachhaltigeren Mobilität nicht zuständig ist, wer dann? Formal hat zweifellos der Bau- und Verkehrsminister hierfür die Federführung. Aber nimmt er sie auch im Sinne der Energiewende wahr? Gibt es einen zwischen Wirtschafts- und Bauministerium abgestimmten Masterplan zur Erreichung der Effizienzziele der Energiewende? Und müsste nicht durch ein Energieeffizienzgesetz ressortübergreifend auch das Forschungs- und Umweltministerium in eine Effizienzstrategie einbezogen werden? Keine dieser Fragen ist bisher von der Politik abschließend beantwortet.