Beschränkte Haftung – teure Abfallbeseitigung – auf Kosten aller
Einer Schadensanalyse nach dem Unglück der beiden Fukushima-Reaktoren folgend sind allein an Gebäudeschäden und Betriebsunterbrechungen Kosten von mehr als 25 Milliarden Euro entstanden. Die Todesfälle und Strahlungsschäden sind dabei noch nicht berücksichtigt. Für ein AKW-Unglück in Deutschland geben die Konzerne eine Gewährleistungszusage von 2,5 Milliarden – nicht viel für einen GAU. Für die mit Abstand größten Lasten muss der Staat einspringen, müssen die Steuerzahler, also wir alle, haften. Wäre Atomstrom angemessen versichert, würde er völlig unrentabel.
Erst am 12.05.2013 beschloss die Koalitionsmehrheit im Petitionsausschuss ein Petitionsverfahren zu einer Eingabe mit der Forderung nach einer Übernahme der Kosten durch die Betreiber abzuschließen. Die Oppositionsfraktionen bewerteten dies anders und sprachen sich für eine Überweisung der Petition „als Material“ an das Bundesumweltministerium aus, „soweit die Bundesregierung aufgefordert wird, die Atomwirtschaft stärker als bisher für die externen Kosten des Betriebs von Atomkraftwerken heranzuziehen und auf diese Weise die Stromsubstitution durch erneuerbare Energien voranzutreiben“. Schwarz-Gelb meinte, die Betreiber von Atomkraftwerken in Deutschland trügen sowohl die Kosten für die Stromproduktion als auch für die Entsorgung der atomaren Abfälle entsprechend dem Verursacherprinzip.
Verursacherprinzip?
Dessen ungeachtet werden Experten und Politiker zunehmend nachdenklich, dass trotz der Milliarden-Subventionen für die Errichtung der Atomkraftwerke Kraftwerksbetreiber nur einen kleinen Teil des Risikos tragen müssen – den Rest übernimmt der Staat. Das macht die Kernkraft für die Konzerne so lukrativ. Völlig zu Unrecht, sagen Ökonomen – denn wenn sich die Stromkonzerne gegen das astronomische Schadensrisiko versichern müssten, würden sie keine Versicherung finden oder aber so hohe Prämien zahlen müssen, dass sich die Erzeugung von Atomstrom nicht mehr rentierte.
Müssten die Betreiber ihre Anlagen nämlich adäquat gegen nukleare Katastrophenfälle absichern, würde der Preis für eine Kilowattstunde (kWh) Atomstrom je nach Versicherungsmodell auf bis zu 2,36 Euro steigen. Das entspräche dem Zehnfachen des durchschnittlichen Haushaltsstrompreises. Damit sind die Risiken, die aus dem Betrieb der AKW resultieren, in der Praxis nicht versicherbar. Zu diesem Ergebnis kam die Versicherungsforen Leipzig GmbH, als sie im Auftrag des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) im Mai 2011 erstmals angemessene Versicherungsprämien für Atomkraftwerke nach versicherungswissenschaftlichen Maßstäben berechnet hat.
Zwischen 0,14 Euro bis 67,30 Euro mehr pro kWh
Dafür wurden verschiedene Szenarien betrachtet, bei denen einerseits die Deckungssumme in einem Zeitraum von 100 bis 10 Jahren aufzubauen wäre und andererseits berücksichtigt wird, dass eine tatsächliche Versicherung von Haftpflichtrisiken vermutlich eher mittels eines Versicherungs-Pools erfolgen würde, der mehrere oder alle 17 in Deutschland ansässigen Kernkraftwerke in einem Kollektiv versichert. Die Versicherungsprämie wurde dann in Beziehung zur im Jahr 2010 durch Kernkraftwerke erzeugten Strommenge gesetzt. Werden diese unterschiedlichen Szenarien betrachtet, ergibt sich eine Haftpflichtversicherungsprämie, welche die Kilowattstunde in einer Spanne von rund 0,14 Euro bis 67,30 Euro verteuern würde. Dieser Aufschlag auf den regulären Strompreis müsste über den gesamten Zeitraum des Aufbaus der Deckungssumme gezahlt werden.
Haftungspflicht in der Bundesrepublik
Die sogenannte Pariser Konvention legt fest, wie die Betreiber von Atomkraftwerken im Schadensfall haften. Das Abkommen sah nach einem SZ-Bericht für die Unterzeichner eine Deckungspflicht zwischen 70 und 700 Millionen Euro vor. In Deutschland wurde sie mit dem rot-grünen Atomausstiegsgesetz auf 2,5 Milliarden Euro angehoben. Die zusätzliche Deckung haben die Betreiber durch gegenseitige Haftungserklärungen beigebracht. Kommt es zu einem schweren Atomunfall, zahlt die Versicherung des Betreibers bis zu 250 Mio. Euro, die übersteigende Summe der Betreiber selbst. Wenn er dazu nicht in der Lage ist, haften die anderen Betreiber mit 2,25 Milliarden Euro. Die Betreiber haben sich praktisch gegenseitig versichert, um Kosten zu sparen. Sie haften allerdings in dieser Höhe mit ihrem Vermögen auch für Unfälle in den AKW anderer Betreiber.
Nach Angaben des Bundesumweltministeriums entspricht zum Beispiel die Deckungsvorsorge insgesamt nur 0,05 Prozent der im Fall einer Kernschmelze im Reaktor Biblis B in Hessen prognostizierten Schadenshöhe von etwa 5,5 Billionen Euro. Darüber hinaus haftet der Betreiber mit seinem eigenen Vermögen. Das würde aber bei weitem nicht ausreichen.
Kampagne für AKW-Haftpflichtversicherung
Die Ärzteorganisation IPPNW, die Neue Richtervereinigung (NRV), der Bund Naturschutz in Bayern und der BUND haben die Kampagne „Sofort volle Haftpflichtversicherung für die deutschen Atomkraftwerke“ ins Leben gerufen. Sie fordert mit einer Unterschriftenaktion eine Betriebshaftpflichtversicherung für den Betrieb von Atomkraftwerken mit ausreichender Deckung für alle Gesundheits-, Sach- und Vermögensschäden. Auf der Seite heißt es: „So lange sich unter privilegierten Bedingungen mit dem Verkauf von Atomstrom Gewinne erwirtschaften lassen, fließen diese in private Taschen. Kommt es zum Schaden, dann zahlt selbstverständlich die Allgemeinheit. Die am 11. März 2011 durch ein Erdbeben ausgelöste Atomkatastrophe in Fukushima demonstriert das Problem eindrucksvoll.“
BMU: Allgemeinheit zahlt, wenige verdienen viel – Broschüre verschollen
Eine Broschüre des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beleuchtete den gleichen Aspekt. „Bei Atomkraft zahlt die Allgemeinheit, während wenige viel verdienen. Atomkraft ist teuer“, hieß es dort. Heute ist die Broschüre nicht mehr auffindbar. Der Bund und damit der Steuerzahler müssen für Stilllegung und Rückbau von kerntechnischen Anlagen – einschließlich voraussichtlicher Kosten für Asse und ERAM – mit circa 7,7 Milliarden Euro rechnen. Dabei sind die Rückbaukosten für die abgeschalteten Atomkraftwerke der früheren DDR und internationale Verpflichtungen für Beseitigung atomarer Abfalllasten noch nicht berücksichtigt. Rund vier Millliarden Euro kostet alleine der Rückbau des AKW in Greifswald. Dass diese Kosten durchaus im Nachhinein steigen können, hat der Rückbau des AKW Würgassen gezeigt: Statt 500 kostet der Rückbau des 1997 stillgelegten AKW in Nordrheinwestfalen inzwischen 700 Millionen Euro.
Eon, RWE, EnBW und Vattenfall müssten mit Kosten von mindestens 18 Milliarden Euro rechnen, bis die 17 vom Ausstiegsbeschluss betroffenen Kernkraftwerke abgerissen und entsorgt seien – das analysierte die Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL) 2011 in einer Studie, das Handelsblatt berichtete. Nukleardienstleister könnten auf lukrative Aufträge hoffen.
Die AKW-Betreiber haben bis Ende 2007 Rücklagen von 26,6 Milliarden Euro für Rückbau und Stilllegung gebildet. Dieses Geld musste bisher nicht versteuert werden. Gut verzinst angelegt bringt es den Unternehmen Gewinne. Aber das Ministerium ist offenbar skeptisch, ob die Summe ausreichen wird. „Falls nicht, müsste die Allgemeinheit einspringen.“ (Horst)
->Quelle(n): vile-netzwerk.de; sueddeutsche.de; heise.de; m.photovoltaik.eu; biosphaere-alb.com; www.bmu.de; bee-ev.de; versicherungsforen.net; bund.net/atomkraft; handelsblatt.com