Köhler: „A New Global Partnership“

„Meine Damen und Herren, Das Panel selbst ist eine Meisterleistung proporztechnischer Feinmechanik: 26 Persönlichkeiten aus aller Herren Länder und eine Sondergesandte des VNGeneralsekretärs, 14 Frauen und 13 Männer, Jung und Alt, Politikerinnen und Wissenschaftler, Aktivistinnen, Geschäftsleute und „Freischaffende“ wie ich; und die drei Vorsitzenden kommen jeweils aus einem Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsland! Da ging es in den Diskussionen hoch her. In einer solch vielfältigen Gruppe unter hohem Zeitdruck in wenigen Monaten einen Bericht zur Zukunft der Menschheit zu schreiben, das war nun wahrlich nicht leicht; und natürlich ist wohl auch nicht jedes einzelne Panelmitglied mit jedem einzelnen Detail gleichermaßen einverstanden. Aber zu dem Endergebnis als Ganzes können alle im Panel sagen: Dahinter stehen wir. Unsere Gruppe war auch ein kleiner Mikrokosmos und hat viele verschiedene Perspektiven zusammengebracht. Wir haben dabei viel voneinander gelernt – ich habe dabei viel gelernt! Sehr beeindruckt hat mich die Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit der Diskussion, gerade auch die Beiträge der Kolleginnen und Kollegen aus Entwicklungs- und Schwellenländern.

Für mich hat die Arbeit im Panel gezeigt, dass es trotz aller Unterschiede und unterschiedlicher Interessen möglich ist, zusammenzufinden und zu einer Übereinstimmung über die Grunderfordernisse für eine bessere Welt zu kommen. Ich teile den optimistischen Grundton des Berichts und verstehe ihn auch als Ermutigung, vor der Größe und Komplexität der Herausforderungen nicht zu resignieren.

II.

Wie haben wir in unserem Panel gearbeitet, wie kamen wir zu einem konsensualen Bericht? In fünf intensiven Sitzungen in New York, London, Monrovia, Bali und wieder New York haben wir gerungen um eine gemeinsame Analyse der Millenniumsentwicklungsziele – was lief gut, was nicht? –, haben über die Grundlagen von Entwicklung debattiert und über Prioritäten für eine neue Agenda heftig gestritten. Dabei sind wir nicht nur unter uns geblieben, sondern haben zahlreiche Outreach- Veranstaltungen gemacht, in unseren eigenen Ländern und am Rande unserer Sitzungen. Wir haben die Netze weit ausgeworfen in unsere nationalen Gesellschaften und Kulturen; wir haben mit Wissenschaftlern und Jugendorganisationen, mit Vertretern der Kirchen und Gewerkschaften, mit Frauenrechtlerinnen und Behindertenaktivisten und Umweltschützern gesprochen. Es war eine gemeinsame Reise, deren Fahrtenbuch nun als Bericht vorliegt.

In einem zentralen Punkt waren wir im Panel relativ rasch beieinander: dass es möglich ist, die extreme Armut in der Welt zu beseitigen und dass wir dafür einen Weg im Rahmen der ökologischen Grenzen des Planeten finden müssen – und finden können. In zwei besonders produktiven Diskussionen in Monrovia und auf Bali wurde uns klar, dass dies eine tiefgreifende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in allen Ecken unseres Planeten verlangt, im Süden wie im Norden, im Osten wie im Westen. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Post-2015 Agenda eine universelle Agenda sein muss, die sich fünf großen transformativen Veränderungen verschreibt. Die erste große transformative Veränderung: „Leave no one behind“ – niemand wird zurückgelassen. Damit formulieren wir den Anspruch, extreme Armut endgültig zu beseitigen, in all ihren Formen. Wir wollen gesichert sehen, dass keinem Menschen – unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Behinderung, Geografie – die universellen Menschenrechte und ein Mindeststandard des Wohlbefindens verweigert werden.

Die Gleichzeitigkeit von extremer Armut und Überfluss in unserer Welt ist ein Skandal, der beendet werden muss – alles andere wäre zynisch und, mit Verlaub, feige! Natürlich möchte das Panel mit dieser Botschaft auch das klare Signal setzen: Bei allen Diskussionen um die Post-2015 Agenda sollte die Arbeit an den bestehenden MDGs nicht vergessen werden – finish the job! Aber darüber hinaus hat das Panel die Ziele nicht nur ehrgeiziger formuliert als die MDGs, sondern drängt an anderer Stelle auch dazu, extreme Ungleichheiten stärker in den Blick zu nehmen. Es darf nicht mehr nur das Ziel sein, Verbesserungen für eine möglichst große Zahl von Menschen anzustoßen, den Durchschnitt zu verändern, sondern es muss darum gehen, jene zu erreichen, die es am nötigsten haben.

Der Panel-Bericht macht sich deshalb unter anderem für eine „Datenrevolution“ stark. Indem in Zukunft die Datenerhebung noch besser nach Einkommensschicht, Geschlecht, Behinderung, Alter und Wohnort differenziert werden soll, lassen sich Politiken besser an den wahren Bedürfnissen der Menschen ausrichten. Die zweite große transformative Veränderung: „Put Sustainable Development at the Core“ – Nachhaltige Entwicklung als Grundausrichtung der Politik in allen Teilen der Welt verankern. Nachhaltigkeit, oder nachhaltige Entwicklung, schwirrt als politischer Slogan schon seit fast 3 Jahrzehnten durch die Welt – und doch hat es noch kein Land dieser Erde geschafft, seine Konsum- und Produktionsmuster so umzubauen, dass es als zukunftsfähiges Entwicklungsmodell gelten kann. Über 100 Millionen Menschen kommen jährlich zur globalen Mittelklasse hinzu. Welches Leben wollen sie leben?

Der kategorische Imperativ von Kant, in unsere Zeit übersetzt, muss doch heißen: Lebe so, dass dein Lebensstil auch von allen anderen 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten übernommen werden könnte. Wenn wir im globalen Norden unser persönliches und politisches Handeln an dieser Maxime messen, dann bleibt nur festzustellen: Anspruch und Wirklichkeit fallen krass auseinander. Zu oft besteht unser Geschäftsmodell für Wachstum im Norden darin, ökologische und soziale Kosten auszulagern, nicht zuletzt in die Schwellen- und Entwicklungsländer. Wenn alle Menschen so lebten wie wir, stünde dieser Planet vor einem Kollaps. Also bleibt uns vernünftigerweise nur, unser Konsumverhalten und unsere Wirtschaftsweise zu ändern. Das ist schon angesichts des ökologischen Fußabdrucks sachlich und politisch unabweisbar. Ich halte die Formel „gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung“ bei der Umsteuerung auf globale Nachhaltigkeit für zielführend, wenn sich die unterschiedlichen Schwerpunkte der Verantwortung wirklich zu einer globalen Agenda zum Vorteil Aller ergänzen.

Zum Beispiel: – Die entwickelten Länder müssen bei der Transformation zu Nachhaltigkeit bei Konsum und Produktion und bei der Dekarbonisierung ihrer Energiesysteme glaubwürdige Führung beweisen und den Entwicklungsländern dabei helfen, ihre Entwicklung von vornherein auch auf neue, umweltverträgliche Technologien zu stützen.

Die Schwellenländer müssen entsprechend ihrer wachsenden Bedeutung in der Weltwirtschaft mehr internationale Verantwortung übernehmen. – Die Entwicklungsländer müssen ihre Anstrengungen für gute Regierungsführung, Bekämpfung der Korruption und Schaffung günstiger Investitionsbedingungen im Inneren verstärken und verstetigen. Was für all das nötig ist, sind vor allem Aufklärung und Einsicht in die Zusammenhänge, politischer Wille und entsprechendes Handeln:

Die Politik muss Anreize setzen für diese strukturelle Transformation; sie darf auch vor Regulierung nicht zurückschrecken, wenn das bedeutet, die Rahmenbedingungen für den Markt so zu gestalten, dass sich ökologisch verantwortbares Wirtschaften lohnt und die Kosten der Umweltverschmutzung nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Das Verursacherprinzip muss global konsequent durchgesetzt werden. Der Panel-Bericht macht deutlich, dass schon heute viele Unternehmen ihren Umgang mit natürlichen Ressourcen überdenken, auch wenn erst etwa 25% aller großen Firmen weltweit zum Thema Nachhaltigkeit Auskunft geben, einschließlich zu sozialen Fragen. Das sollte möglichst zügig zum Standard werden. Die dritte große transformative Veränderung: „Transform Economies for Jobs and Inclusive Growth“ – eine wirtschaftliche Transformation für Arbeit und inklusives Wachstum.“