Köhler: „A New Global Partnership“

VI.

„Was bedeutet dieser Bericht nun für Deutschland und die deutsche Politik? Gerne möchte ich dazu fünf persönliche Anmerkungen machen: Erstens, dieser Bericht und der gesamte Post-2015 Prozess bieten der Weltgemeinschaft aufbauend auf der Millenniumserklärung von 2000 eine große Chance. Er kann die Tür öffnen – zumindest einen Spalt breit – für ein neues Paradigma in der Weltpolitik, ein neues Zeitalter internationaler Kooperation, in dem nationale Souveränität in den Kontext des globalen Gemeinwohls gestellt wird; „responsible sovereignty“ nennen das manche. Oder wie es der indonesische Präsident Yudhoyono gesagt hat: Es gibt jenseits des nationalen Interesses ein gemeinsames internationales Interesse, eine echte universelle Perspektive. –

Ich denke, der historische wirtschaftliche und politische Aufstieg der Schwellenländer, die Aufbruchsstimmung auf dem afrikanischen Kontinent, und die neue, tastende ökonomische und soziale Identitätssuche vieler krisengeschüttelter Industrieländer könnte und sollte dieser Perspektive Auftrieb verleihen. Man möchte Che Guevara zurufen: Nicht einfach Solidarität, sondern vielmehr Zusammenarbeit ist die Zärtlichkeit der Völker in der interdependenten Welt des 21. Jahrhunderts. Ich wünsche mir, dass die deutsche Politik eine aktive und glaubwürdige Rolle bei der Entwicklung dieser neuen globalen Partnerschaft spielt; dass wir unsere Lösungen nicht nur im engeren Sinne auf das Wohl Deutschlands und Europas ausrichten, sondern dieses Anliegen verbinden mit dem Streben nach Frieden, Entwicklung und Erhalt der Schöpfung überall in der Welt. Ich wünsche mir ein Europa, das sich mutig der notwendigen Transformation stellt und auch damit demonstriert, dass das europäische Modell lebt und weiterhin Avantgarde ist.

Das führt mich direkt zu meinem zweiten Punkt. Die Post-2015 Agenda muss eine Agenda für die gesamte deutsche Politik sein, oder anders gesagt: Keiner darf den Fehler machen, dies für ein entwicklungs- und außenpolitisches Programm zu halten, welches nur das BMZ und das Auswärtige Amt tangiert. Wenn man die Empfehlungen des Panel- Berichtes ernst nimmt, dann hat diese Agenda wichtige und grundsätzliche Auswirkungen für alle Politikbereiche. Im Jargon der Paneldiskussion heißt das: Global Partnership and the new agenda is a cross-cutting issue, eine Querschnittsaufgabe.

Das ist doch die Botschaft des Panels: Veränderungsbedarf gibt es nicht nur im Süden, Probleme gibt es nicht nur in den Entwicklungs- und Schwellenländern, nein – der Wandel muss vor allem auch in den Industrieländern stattfinden! Und damit ist auch die Liste der deutschen Hausaufgaben lang. Ich nenne Beispiele: Verfolgen wir mit Mut und neuem Elan eine Energiepolitik, die die Energieeinsparungen vervielfacht und die sich von CO2-intensiven Energieträgern konsequent verabschiedet. Lassen wir den Irrsinn nicht länger zu, dass täglich Unmengen von vollwertigen Nahrungsmitteln bei uns auf der Müllhalde landen. Überprüfen wir auch als Individuen – unverkrampft – unsere Konsumgewohnheiten in ihren Auswirkungen auf andere, die Umwelt und uns selbst. Entwickeln wir kraftvoll neue Mobilitätskonzepte.

Machen wir endlich eine europäische Agrarpolitik, die es Entwicklungsländern nicht erschwert, ihre Nahrungsmittelproduktion auf eigene Beine zu stellen; machen wir ernst mit einer Handelspolitik Europas, die den Entwicklungsländern den Aufbau einer diversifizierten Wirtschaft erleichtert. In diesem Zusammenhang sage ich gerne, dass ich die Überlegungen zu einer transatlantischen Freihandelszone begrüße – ich wünschte mir aber noch viel mehr politisches Kapital, das in den Abschluss eines fairen und entwicklungsfreundlichen internationalen Handelssystems investiert wird. In jedem Fall darf eine transatlantische Freihandelszone nicht zum Nachteil von Entwicklungsländern geraten.

Mein dritter Hinweis: Vor dem Aufstieg der Schwellenländer sollte uns nicht bange sein. Zunächst muss man feststellen: Dass das MDG 1, also die Halbierung des Anteils der Armen, allem Anschein nach schon jetzt wohl erreicht wird, das ist in erster Linie den Schwellenländern zu verdanken. Es ist in der Geschichte der Menschheit einmalig, welche Fortschritte etwa in China oder Brasilien bei der Armutsbekämpfung gemacht wurden. Das sollte auch uns freuen! Natürlich stellen diese Fortschritte auch die althergebrachten Weltwirtschaftsstrukturen in Frage.

Schon 2020, so schätzt es der neue Human Development Report, werden die drei größten Schwellenländer, Brasilien, China und Indien zusammen einen größeren wirtschaftlichen Output haben als Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Ich glaube, dass dies für unsere deutsche Wirtschaft, die für ihre Leistungs- und Innovationsfähigkeit bekannt ist, zu einem neuen Vorteil wachsen kann.

Wo in anderen Staaten die Realwirtschaft wächst, wo die Industrialisierung vorangetrieben wird, da werden deutsche Ausrüstungen, Maschinen, deutsches Know-how für komplexe Lösungen gebraucht. Und ich kenne kein Land, das die Kompetenz der Deutschen insbesondere in den grünen Technologien anzweifelt. Diesen guten Ruf können und sollten wir nutzen. Meine große Hoffnung ist daher, dass sich beim Aufbau von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in den Entwicklungs- und Schwellenländern auch der deutsche industrielle Mittelstand, mit seinem sozial verantwortlichen und lokal verwurzelten unternehmerischen Handeln, verstärkt engagiert.

Ideen und Köpfe sind ganz entscheidend für den Entwicklungserfolg einer jeden Gesellschaft, und das bringt mich zu meiner vierten Anmerkung. Bildung und Ausbildung müssen weltweit höchste Priorität erhalten, das hat auch der Panel-Bericht deutlich gemacht. Was können wir aus Deutschland dazu beitragen? Ich glaube, dass wir hier vor allem mit unseren deutschen Erfahrungen im beruflichen Ausbildungswesen wertvolle Unterstützung leisten können. Unserem dualen Ausbildungssystem eilt weltweit der Ruf voraus, exzellente Facharbeiter hervorzubringen, die sowohl das nötige theoretische Wissen wie auch die in den Unternehmen erforderten Praxiskenntnisse haben. Ein großes Gemeinschaftswerk der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Berufsausbildung in Entwicklungsländern – zusammen mit der Bundesregierung, den Bundesländern, den Kammern, den Verbänden, dem Senior Expert Service – wäre auch eine große Investition in Wachstum und Beschäftigung bei uns!

Meine fünfte Anmerkung richtet sich an die deutsche Zivilgesellschaft, und ein Blick auf die Teilnehmerliste hat mir gezeigt, dass Sie auch heute zahlreich gekommen sind. Lassen Sie mich zunächst sagen: In meinen Treffen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in diesem vergangenem Jahr, aber auch durch die vielen Zuschriften, die ich erhalten habe, habe ich viel Neues erfahren und wichtige Impulse erhalten. Und ich freue mich, dass auch der gesamte Panelprozess der Beteiligung und der Stimme der Zivilgesellschaft breiten Raum gegeben hat.

Wir brauchen eine lebendige Zivilgesellschaft, in den verschiedenen Ländern, aber auch auf globaler Ebene. Ihre Ideen, Ihre Möglichkeiten, Menschen zu inspirieren und zu mobilisieren, und Ihr Beitrag zu diesem wichtigen Bewusstsein, dass wir in einer Welt leben, sind unverzichtbar für eine neue Politik. Wobei ich genauso deutlich sage: zivilgesellschaftliche Beteiligung und Initiativen können kein Ersatz sein für einen neuen Geist der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen und entsprechende politische Führung.

Und die neue Agenda, wie sie der Panel-Bericht skizziert, erfordert auch in der organisierten Zivilgesellschaft ein Umdenken und Umsteuern: Auch hier gibt es noch viel zu viele Silos, gibt es die Umwelt-Organisationen auf der einen, und die Entwicklungsorganisationen auf der anderen Seite. Ich würde mir wünschen, dass der neue Geist der Partnerschaft auch frischen Wind in die deutsche NGO-Welt bringt.“