IPPNW: Erste sichtbare Folge der Atomkatastrophe?
Die Ärzteorganisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) sieht die drastische Erhöhung der radioaktiven Strahlenbelastung an den Katastrophenreaktoren in Fukushima mit großer Sorge. Auch im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen gebe es keinen Grund zur Entwarnung, so eine Erklärung. Im Gegenteil: Die erschreckende Zunahme der Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern unter 18 Jahren in der Präfektur Fukushima bestärkt die Befürchtung der IPPNW, dass in den kommenden Jahren eine außerordentliche Zahl weiterer Krebsfälle zu erwarten sei. Zweieinhalb Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe ist die Zahl der Schilddrüsenkrebsfälle auf 18 gestiegen. 25 weitere Kinder unter 18 Jahren haben vermutlich ebenfalls Schilddrüsenkrebs, wurden jedoch bislang noch nicht operiert.
44% auffällig
Einen guten Überblick über die tatsächliche Anzahl von Schilddrüsenkrebsfällen in der Präfektur Fukushima gibt es immer noch nicht, denn mehr als 100.000 Kinder aus weiter entfernten Ortschaften in Fukushima warten immer noch auf ihre Erstuntersuchung. Bisher wurden insgesamt 192.886 Kinder auf Schilddrüsenkrebs untersucht. Bei ungefähr 44% fanden die Mediziner im Ultraschall Auffälligkeiten. 1.280 Kinder mit auffälligen Befunden wurden für Zweituntersuchungen wieder einbestellt, aber 655 von diesen Kindern wurden bislang noch nicht nachuntersucht. Besonders besorgniserregend ist dabei die Situation in der Stadt Koriyama: hier wurden 442 Kinder bei auffälligen Befunden in der Erstuntersuchung für eine Zweituntersuchung einbestellt. Lediglich 5 dieser Kinder haben die Zweituntersuchung jedoch bislang beendet. Bei 2 dieser Kinder wurde allerdings schon bösartiger Schilddrüsenkrebs festgestellt. Nach dem Unfall hatte es die japanische Regierung versäumt, die Behörden anzuweisen, Jodtabletten auszugeben.
Screening-Effekt falsch
Die IPPNW widerspricht der Analyse japanischer Wissenschaftler, die den sogenannten „Screeningeffekt“ für die hohe Rate an Schilddrüsenkrebs in Fukushima verantwortlich machen. Von einem solchen Effekt spricht man, wenn durch eine Reihenuntersuchung eine höhere Rate an Erkrankungen festgestellt wird als in der Normalbevölkerung durch Symptome normalerweise auffallen. Die IPPNW fürchtet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ähnlich wie nach dem Super-GAU von Tschernobyl die Schilddrüsenraten über viele Jahre kontinuierlich ansteigen werden.
“Kindern mit Schilddrüsenkrebs muss in einer aufwändigen Operation die gesamte Schilddrüse entfernt werden. Sie müssen nicht nur für den Rest ihres Leben Schilddrüsenhormone schlucken, die mittels regelmäßiger Blutuntersuchungen genau eingestellt werden, sondern auch regelmäßig zu Nachsorgeuntersuchungen kommen, da Rezidive nicht selten sind“, erklärt IPPNW-Kinderarzt Alex Rosen. Schilddrüsenkrebs sei trotz der guten Behandlungsoptionen für die betroffenen Familien ein schwerer Schicksalsschlag. Und Schilddrüsenkrebs ist nicht die einzige gesundheitliche Folge von Strahlenexposition. Auch Leukämien, solide Tumore und andere Formen von Krebs, eine Schwächung des Immunsystems, Schwangerschaftskomplikationen, angeborene Fehlbildungen und Fehlgeburten müssten in Fukushima erwartet werden. Die Untersuchungen in Japan müssten daher dringend auch auf andere Bevölkerungsgruppen und weitere mögliche Erkrankungen ausgeweitet werden.
->Quelle: ippnw.de