Gauck fordert mehr Geld für die Wissenschaft

Rede von Bundespräsident Gauck zur Eröffnung der Leopoldina-Jahresversammlung

„Werde, der du bist“ – Manche von uns kennen diesen Appell, den die Philosophie der griechischen Antike bis heute an uns richtet.
Wie wir aber zu dem werden, der wir sind, ist längst nicht so klar. Wer sich mit dem Thema dieser Jahresversammlung beschäftigt, den komplexen Wechselwirkungen zwischen Geist und Genom, zwischen Gehirn und Gesellschaft, der wird das schnell feststellen. Wir wissen: Unsere Gene prägen uns und unseren Lebensweg. Aber sie haben wohl dabei nicht das letzte Wort. Viele Bedingungen unserer Umwelt entscheiden mit darüber, in welchem Fall und wie unsere Gene wirken. Es ist für mich faszinierend zu erfahren, wie der Mensch die Wirkungsweise des Gehirns immer besser zu verstehen lernt. Doch mit jedem Erkenntnisschritt stellen sich neue Fragen – für den Einzelnen, für die Wissenschaft, am Ende für die ganze Gesellschaft.

Gerade weil die neuen Fragen relevant sind für unsere Gesellschaft, sind sie Themen für die Leopoldina. Hier hat sie in ihrer jüngsten Rolle als Nationale Akademie der Wissenschaften eine Aufgabe von höchster Bedeutung gefunden. Fünf Jahre ist die Akademie in dieser Rolle nun alt, ein kleines Jubiläum und Anlass zum Feiern. Ich bin froh, dass ich in diesem Jahr bei Ihrer Jahresversammlung sein kann und dazu noch in diesem prachtvollen Gebäude. Ich finde es wunderbar, dass sich Halle mit diesem Kunstwerk schmücken kann und dass Sie hier als Leopoldina ein so wunderbares Zuhause gefunden haben. Herzlichen Glückwunsch dazu!

In Schweinfurt gegründet

Als die „Academia Naturae Curiosorum“ wurde die Leopoldina in Schweinfurt gegründet. Über 15 Wirkungsstätten hinweg führte ihr langer Weg hierher, nach Halle. Sie ist damit angekommen an einem Ort, der ihr beste Voraussetzungen bietet.

In den Jahrzehnten der Teilung – auch darauf möchte ich kurz verweisen –, ist sie eine gesamtdeutsche Institution geblieben. Und wir wollen es nicht vergessen: Welche Leistung das war! Die Leopoldina hat gezeigt, dass es einen geistigen Zusammenhalt gibt, der Grenzen zu überwinden vermag und der Menschen verbinden kann. Die Leopoldina ist Zeugnis dafür, dass wahre Freiheit im Denken sich in kein Korsett zwingen lässt – auch wenn das oft versucht wird. Mit dem Mauerbau wurden nicht nur die DDR-Bürger im eigenen Land eingesperrt, auch Wissenschaftler erfuhren ja wesentliche Einschränkungen ihrer Arbeit.

Da war es wichtig, dass die Leopoldina den Wissenschaftlern in der DDR eine seltene Möglichkeit bot: Sie konnten sich mit ausländischen Spitzenforschern austauschen. Dafür waren auch die Jahresversammlungen ein wichtiges Forum – hier wurden Entwicklungen in Ost und West kritisch beleuchtet und diskutiert. Und so hat die Leopoldina geholfen, Verbindungen zu stiften und so auch unser Land zusammenzuhalten.