30 Jahre tüfteln am Puzzle
Um systematisch nach Materialien dafür suchen zu können, müssen sich Physiker aber erst ein genaues Bild verschaffen, warum die derzeit besten Supraleiter überhaupt ihren Widerstand verlieren und wie sich die Temperatur, bei der das geschieht, nach oben schrauben lässt – ein Puzzle, an dem Forscher seit rund 30 Jahren tüfteln. Doch allmählich werden die Konturen erkennbar.
Nun fügt eine internationale Zusammenarbeit, in der neben dem Max-Planck-Institut für Festkörperforschung die Universitäten Princeton und British Columbia sowie das Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie tragende Rollen spielen, mit zwei Arbeiten weitere Puzzlesteine in das Bild ein.
„Wir haben in Kupraten oberhalb der Temperaturen, bei denen sie supraleitend werden, Ladungsdichtewellen gefunden“, sagt Bernhard Keimer. „Diese werden wie die Supraleitung von den starken Wechselwirkungen zwischen den Elektronen verursacht.“ Der Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart war an einer der beiden Arbeiten direkt und an der anderen beratend beteiligt.
Im Wettstreit der Zustände entscheidet eine Nasenlänge
Dass Elektronen stark miteinander wechselwirken, ist eine Voraussetzung, damit Supraleitung überhaupt entstehen kann – das wissen Physiker schon lange. Denn die Kräfte – nach dem derzeitigen Forschungsstand handelt es sich um magnetische Kräfte – schweißen je zwei Elektronen zu Cooperpaaren zusammen, die ungebremst durch das Kristallgitter sausen. Schon lange wissen die Forscher auch, dass die starken Wechselwirkungen noch andere elektronische Phänomene hervorrufen können: Magnetismus etwa oder eben die Ladungsdichtewellen, die sich mit der Supraleitung überhaupt nicht vertragen.
„Diese verschiedenen Zustände konkurrieren in den Materialien miteinander“, erklärt Keimer. „Welcher sich durchsetzt, entscheidet sich oft nur durch eine Nasenlänge Vorsprung.“ Das heißt, ob ein Material supraleitend ist oder nicht, hängt ausgesprochen empfindlich davon ab, aus welchen Elementen es besteht und welche Struktur es bildet. Nicht zuletzt mischt dabei aber auch der Zufall mit. Auch dank der aktuellen Arbeiten bekommen die Physiker jedoch ein immer besseres Gefühl dafür, unter welchen Umständen Supraleitung auftritt. „Wir kommen also dem Ziel näher, diesen Zustand vorhersagen zu können und somit Materialien zu entwickeln, die schon bei hohen Temperaturen supraleitend werden“, sagt der Physiker.
Zum besseren Verständnis der Supraleitung trägt die Zusammenarbeit nun mit Experimenten an zwei Materialien bei, die neben Kupferoxid als charakteristische Komponente Bismuth enthalten und entsprechend der verschiedenen Anteile der Elemente Bi2201 und Bi2212 genannt werden. Jeweils eine einzige Probe des Materials untersuchten die Forscher mit verschiedenen Methoden: Beide Materialien durchleuchteten die Stuttgarter Max-Planck-Forscher mit resonanter Röntgenstreuung, und zwar in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe des Helmholtz-Zentrums Berlin am dortigen Synchrotron BESSY. Diese Experimente enthüllten Details über die Ladungsverteilung im Inneren der Materialien. Anschließend reiste einer der beteiligten Wissenschaftler mit dem luftdicht verschlossenen Material im Koffer zur Princeton-University. Dort tasteten die Projektpartner die Probe mit einem Rastertunnel-Mikroskop ab, das die Ladungsverteilung an der Oberfläche erfasst. Die Bi2201-Probe untersuchten Physiker der University of British Columbia zudem mit der winkelaufgelösten Photoelektronen-Spektroskopie, die weitere Einzelheiten der elektronischen Struktur an der Oberfläche des Materials offenlegt.
Folgt: Ladungsdichtewellen treten in allen Kuprat-Supraleitern auf