Gastkommentar von Christian von Hirschhausen (DIW)
Der 17. Dezember 2013 dürfte nicht nur als Datum der Vereidigung der neuen Bundesregierung in Erinnerung bleiben: Praktisch zeitgleich entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in Sachen Braunkohletagebau Garzweiler über die Stärkung des Rechtsschutzes von Enteignungs- und Umsiedlungsbetroffenen. Der Zusammenhang?
Die neue Bundesregierung hat nicht nur die Energiewende im Koalitionsvertrag bestätigt, inklusive einer 80-prozentigen Reduktion von Treibhausgasemissionen sowie eine Fast-Vollversorgung mit erneuerbaren Energien bis 2050. Sie hat auch zwei grüne Staatssekretäre in Schlüsselpositionen von Wirtschafts- und Umweltministerium platziert, die über die Umsetzung der anspruchsvollen Ziele wachen werden.
Parallel hierzu entschied Karlsruhe zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des ursprünglich aus dem Jahr 1934 stammenden Bergrechts, dass die bisherige Praxis Bergrecht bricht Grundrecht nicht mehr zeitgemäß ist: Einer der Kläger, ein Umweltverband aus Nordrhein- Westfalen, bekam nachträglich Recht zugesprochen; die Enteignung eines Grundstücks im Jahr 2005 genügte nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Neue Zeitrechnung in der Energiewirtschaft
Mit dieser Entscheidung beginnt eine neue Zeitrechnung in der Energiewirtschaft bei der Abwägung zwischen öffentlichen Interessen, unter anderem an sicherer Energieversorgung und Umweltschutz, und privaten Interessen, insbesondere dem Grundrecht auf Eigentum. Zwar bestätigte das Gericht das Recht der Bundes- und Landesregierung auf die Festlegung eines (fossilen) Energieträgermixes am Standort Garzweiler, jedoch bezog es sich dabei auf einen Bescheid des Bergamtes Düren aus dem Jahr 1997. Damit kann der Tagebau Garzweiler zwar vorerst weiter betrieben werden – dass er sich betriebswirtschaftlich lohnt, wird inzwischen selbst im RWE-Vorstand bezweifelt.Jedoch verschärfte das Gericht das Kriterium der energiewirtschaftlichen Erforderlichkeit, welches zur Begründung von Enteignungs- und Umsiedlungsmaßnahmen angelegt wird, und fordert von den entsprechenden Behörden und Gerichten in Zukunft eine frühere und strengere Abwägung mit privaten Interessen.
Genau hier geht nun der Stern im Osten über der Lausitz auf, wo derzeit zwei neue Tagebaue nach dem alten Schema Bergrecht bricht Grundrecht durchgezogen werden sollen: Welzow-Süd II und Nochten. In Zeiten von Energiewende und einem Bekenntnis zu erneuerbaren Energien auf Bundes-und Landesebene – Brandenburg legte in seiner Energiestrategie 2030 eine 100-prozentige Versorgung aus erneuerbaren Energien fest – ist genau diese energiewirtschaftliche Notwendigkeit der Braunkohle nicht mehr gegeben. Spielte diese im vergangenen Jahrhundert noch eine Rolle, so ist ihr Auslaufen im Rahmen der Energiewende vorprogrammiert. Der Neubau von Braunkohlekraftwerken liegt jenseits jeglicher Wirtschaftlichkeitsgrenzen, selbst der Betrieb laufender Tagebaue und Kraftwerke wird aufgrund niedriger Strompreise zunehmend in Frage gestellt.
Vattenfall, der zweitgrößte Braunkohleverstromer in Deutschland, spekuliert bereits öffentlich über den Verkauf seines Deutschlandgeschäfts. Angesichts der Energiewende ist Braunkohle weder in Deutschland noch in der Lausitz noch systemrelevant. Somit dürfte sich die Lage hinsichtlich der Vorhaben Welzow Süd II in Brandenburg und Nochten II in Sachsen rasch klären: Es fehlt nicht nur eine energiewirtschaftliche Begründung, sondern keine geringere Institution als das Bundesverfassungsgericht hält laut Urteilsbegründung Eingriffe in Eigentumsrechte unter anderem nur dann für rechtens, wenn „das Vorhaben zur Erreichung des Gemeinwohlziels vernünftigerweise geboten ist“.
Von einer Alternativlosigkeit dieser Tagebaue kann aber in Zeiten der Energiewende keine Rede mehr sein. Die Braunkohle kann dort in der Erde bleiben und die Einwohner können weiter darüber wohnen, ohne dass irgendwo in der Republik die Lichter ausgehen.
Prof. Dr. Christian von Hirschhausen ist Forschungsprofessor am DIW Berlin
->Quelle: diw.de