von Matthias Ruchser, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
Nach der völkerrechtswidrigen russischen Einverleibung der Krim verhängte der Westen Sanktionen gegen den russischen Bankensektor sowie gegen russische und ukrainische Personen, die eng mit dem Putin-Regime verbandelt sind. Trotz dieser eher symbolischen Sanktionen zeigen sich bereits erste Auswirkungen: Kapital fließt aus Russland ab und geplante europäische Investitionen in Russland werden zurückgestellt.
Inwieweit die Europäer bereit sein werden, auch Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verhängen, bleibt abzuwarten. Die Ängste sind groß, dass zusätzliche Sanktionen der eigenen Wirtschaft großen Schaden zufügen könnten. Denn sollte Europa Wirtschaftssanktionen verhängen, werden Gegenmaßnahmen Putins nicht ausbleiben – zum beiderseitigen Nachteil.
Doch Russland hat mehr zu verlieren, denn die Exporte beruhen in erster Linie auf Russlands Rohstoffreichtum. Dies sind nicht nur die Primärenergieträger Rohöl, Erdgas und Steinkohle, sondern auch hohe Anteile an den Weltvorräten von Blei, Eisen, Gold, Kobalt, Kupfer, Nickel, Zink, Zinn und an Metallen der Platingruppe. Diese Liste verdeutlicht das Dilemma der russischen Exportwirtschaft. Die große Abhängigkeit vom Rohstoffsektor führt sehr schnell zu Einbußen, wie zuletzt ab 2008 aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise. Russland kann es sich nicht leisten, die Energieexporte nach Europa zu unterbrechen. Zwar bildet sich vor allem in Asien eine große Energienachfrage heraus, doch fehlt Russland (noch) die Infrastruktur, um seine Energieexporte in die aufstrebenden asiatischen Volkswirtschaften umzulenken.
Die Weltwirtschaft insgesamt wird Schaden nehmen
Wirtschaftlichen Schaden wird die Weltwirtschaft insgesamt nehmen und damit auch die Entwicklungs- und Schwellenländer treffen, denn die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten sind wesentlich größer als zu Zeiten des „Eisernen Vorhangs“. Die Weltwirtschaft befindet sich nach der Finanzkrise weiterhin in schwierigem Fahrwasser: Die Krise der Eurozone ist noch nicht ausgestanden, die Schwellenländer haben schwierige Strukturprobleme zu meistern und die Weltwirtschaft braucht Stabilität und koordiniertes Handeln der großen Länder. Schwere Konflikte wie jetzt zwischen Russland und dem Westen bringen das – z. B. mit der G20 – neu entstehende multipolare System ins Wanken.
Doch wie eng sind die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Russland und Deutschland bzw. Europa? Die deutschen Ausfuhren nach Russland, vor allem Technologie- und Konsumgüter, beliefen sich im Jahr 2013 auf 36,1 Mrd. €. Die Einfuhren aus Russland lagen bei 40,4 Mrd. €, beschränkten sich jedoch weitgehend auf Rohstofflieferungen. So war Russland Deutschlands wichtigster Lieferant fossiler Energien und deckte 38 % des Erdgasaufkommens (Tendenz steigend), knapp 35 % der Rohölimporte (Tendenz fallend) und 27 % der Steinkohleneinfuhren (Tendenz steigend) ab. Für Gesamteuropa sehen die Zahlen (für 2011) auf den ersten Blick etwas weniger dramatisch aus – rund 35 % der Ölimporte und 30 % der Gasimporte stammten aus Russland. Doch vor allem die Osteuropäer hängen am Rohöl- und Erdgas-Tropf Russlands.
Was bedeuten europäische Wirtschaftssanktionen gegen Russland vor dem Hintergrund dieser Energieimportabhängigkeiten?
Deutschland hat nach der Atomkatastrophe von Fukushima die Energiewende ausgerufen – weg von der Kernenergie und hin zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Aufgrund der steigenden Strompreise konzentriert sich die Bundesregierung derzeit auf die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit dem Ziel, den Ausbau der Erneuerbaren zu verlangsamen. Doch die Energiewende ist keine „Stromwende“, sie umfasst auch den Wärme- und Mobilitätssektor.
Raumwärme, industrielle Prozesswärme und Verkehr sind von fossilen Energieträgern geprägt. Deshalb liegen hier sehr große, bisher ungenutzte Potentiale für die Steigerung der Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Statt die Energiewende zu verlangsamen, sollte sie beschleunigt und auf Europa ausgeweitet werden.
„Energiewende heißt nicht, von (fossilen) Energieimporten unabhängig zu werden. Es geht um die Transformation zu einer low-carbon economy.“
US-Präsident Barack Obama hat die Europäer beim EU-USA-Gipfel am 26. März 2014 in Brüssel aufgefordert, unabhängiger von Energieimporten aus Russland zu werden. Er empfiehlt, auch in Europa auf Fracking zu setzen, eine umstrittene Technik der Erdgasförderung. Es geht bei der Energiewende jedoch nicht darum, fossile Energieimporte durch die Ausweitung der heimischen fossilen Energieproduktion zu ersetzen oder generell von Energieimporten unabhängig zu werden. Es geht um die Transformation unserer Energiesysteme zu einer low-carbon economy.
Da auch viele Entwicklungs- und Schwellenländer von fossilen Energieimporten abhängig sind, haben die Erfahrungen, die Deutschland mit der Energiewende macht, internationale Vorbildfunktion. Wenn Deutschland die erfolgreiche Energiewende gelingt und zeigt, dass Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Klimaschutz gleichzeitig zu erreichen sind, wird das Nachahmer finden, auch in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern. Die deutsche Energiewende ist deshalb entwicklungspolitisch von großer Bedeutung.
->Quelle: die-gdi.de