Stadtwerke in der Energiewende: ver.di und vku warnen- 20.000 Arbeitsplätze in Gefahr
„Stadtwerke bilden das Rückgrat der Energiewende“, beginnen die Dienstleistungsgewekschaft ver.di und der Verband kommunaler Unternehmen e.V. (VKU) einer gemeinsame („Berliner“) Erklärung, in der sie davor warnen, dass der kommunalen Stromerzeugung durch einen rasantem Ausbau der erneuerbaren Energien „das wirtschaftliche Aus“ drohe. Schuld daran sei der Marktmechanismus, der sogenannte „Energy Only-Markt“. Gehandelt werde nämlich allein die tatsächlich gelieferte Arbeit. Seit Jahren sinke aber der Preis an der Strombörse.
„Berliner Erklärung“ der Geschäftsführer und Betriebsräte der kommunalen Energiewirtschaft (Wortlaut)
Stadtwerke bilden das Rückgrat der Energiewende. Mehr als 100.000 hochqualifizierte und hochmotivierte Beschäftigte sorgen dafür, dass alle Kunden, Haushalte wie Industrie, auch in Zeiten dezentraler Einspeisung von Tausenden von Wind- und Solarkraftwerken sicher versorgt werden können – tariflich abgesichert und unter guten Arbeitsbedingungen. Sie bringen erhebliche Investitionen auf, um die Verteilnetze für die neuen Aufgaben fit zu machen, sie sorgen mit einer wachsenden Zahl von Dienstleistungen dafür, dass Strom und Wärme immer effizienter – umweltschonend und kostensparend zugleich – eingesetzt werden können. Und nicht zuletzt mit ihren modernen fossilen Kraftwerken – vielfach in hocheffizienter Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung – sind sie ideale Partner der wetterabhängigen erneuerbaren Energien, wie Wind und Photovoltaik, die in Zukunft die Hauptlast der Strom- und Wärmeversorgung übernehmen werden. Weil Wind und Sonne nicht immer liefern können, bilden die flexibel regelbaren Kraftwerke der Stadtwerke die notwendige Reserve, um gleichsam als Ausgleichskraftwerke die Versorgungssicherheit rund um die Uhr aufrecht zu erhalten. Dies ist für ein Industrieland wie Deutschland von enormer Bedeutung.
Das ist eine zentrale Herausforderung der Energiewende: Mit dem rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien droht der kommunalen Stromerzeugung, die zur Sicherung der Versorgung unbedingt notwendig ist, das wirtschaftliche Aus. Ursache ist der derzeitige Marktmechanismus, nach dem sich der Strompreis bemisst – der sogenannte „Energy Only-Markt“. Gehandelt wird, so will es das Energiewirtschaftsgesetz, allein die tatsächlich gelieferte Arbeit. Seit Jahren sinkt der Preis, zu dem die Kilowattstunde Strom an der Strombörse gehandelt wird, kontinuierlich ab. Während im Jahr 2010 die Megawattstunde noch rund 60 Euro erzielte, ist der Preis auf derzeit weniger als 35 Euro gefallen. Gesicherte Leistung hat derzeit aber keinen Preis. Damit fehlt ein wesentlicher politischer Eckstein zum Gelingen der Energiewende und für langfristige Versorgungssicherheit. Die Lage ist dramatisch. Die Signale, die der „Energy Only-Markt“ setzt, führen volkswirtschaftlich in die Sackgasse.
Unter den derzeitigen Marktbedingungen lassen sich vor allem kommunale und klimaschonende Kraftwerke nicht mehr wirtschaftlich betreiben – 20.000 Arbeitsplätze in der kommunalen Strom- und Wärmeerzeugung sind laut Schätzungen von verdi in Gefahr. Und ohne kommunale Regel- und Ausgleichskraftwerke bleibt die Energiewende auf halbem Wege stehen. Auch das erforderliche hohe Niveau an Versorgungssicherheit – ein wichtiger Aspekt für den Wirtschaftsstandort – kann so nicht dauerhaft gehalten werden. Ein Ende des Preisverfalls ist aber nicht in Sicht. Denn erneuerbare Energien haben keine Brennstoffkosten – immer dann, wenn sie liefern können, ist ihr Strom wesentlich billiger als Strom aus konventionellen Kraftwerken.
Insbesondere kommunale Gaskraftwerke mit relativ hohen Brennstoffkosten kommen also an der Strombörse schon aufgrund der höheren Kosten immer weniger zum Einsatz. Hinzu kommt: An der Börse zählt nur die Kilowattstunde, die ein Kraftwerk tatsächlich liefert. In ihrer neuen Rolle als Ausgleichskraftwerke, in Ergänzung zu den vorrangig einspeisenden erneuerbaren Energien, kommen kommunale Kraftwerke aber wesentlich weniger häufig zum Einsatz als früher. So sind die Vollbenutzungsstunden, die Erdgaskraftwerke mit einer Leistung von mehr als 20 Megawatt jährlich im Einsatz waren, zwischen 2010 und 2012 um 25 Prozent gefallen. Jährliche Sonderabschreibungen in zweistelliger Millionenhöhe sind schon fast die Regel. Damit geraten die Unternehmen insgesamt in Gefahr – zumindest sinkt ihr Spielraum, aktiv die Energiewende mit zu gestalten und zu fördern, durch Investitionen in erneuerbare Energien, in den Netzausbau, in Energieeffizienz-Dienstleistungen.
Stadtwerke wollen die Energiewende und Stadtwerke sind für das Gelingen der Energiewende unverzichtbar. Die Unternehmen und Beschäftigten wollen ihren Teil beitragen zu einer umwelt- und klimaverträglichen Energiezukunft. Doch unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen können sie diese Aufgabe nur unzureichend wahrnehmen. In dieser Lage wenden sich Geschäftsführungen und Betriebsräte der kommunalen Energiewirtschaft gemeinsam an die Politik. Unser Appell: Wir brauchen eine Neuausrichtung der politischen Rahmenbedingungen.
Deshalb fordern wir:
- Gesicherte Leistung muss einen Preis bekommen, der den kommunalen Kraftwerken erlaubt, ihre zunehmende Aufgabe als Regel- und Ausgleichskraftwerke wahrzunehmen. Hierfür braucht es einen Kapazitätsmarkt, der angesichts des erkannten Marktversagens des „Energy Only-Marktes“ sicherstellt, dass ein Kraftwerk (oder komplementär Speicher oder Lastmanagement) entsprechend seiner Fähigkeit, in einem bestimmten Zeitraum gesicherte Leistung bereitzustellen, für diesen Zeitraum ein gesichertes Entgelt erhält. Um die notwendige Investitionssicherheit für die Betreiber bzw. Anbieter herzustellen, muss zeitnah, spätestens Anfang 2015, mit dem Aufbau des Kapazitätsmarkts begonnen werden.
- Der Kapazitätsmarkt muss als umfassender Mechanismus angelegt werden, der alle Anbieter gesicherter Leistung in Deutschland einbezieht. Damit werden die volkswirtschaftlichen Zusatzkosten möglichst gering gehalten, denn zum Einsatz kommen nur die wirtschaftlichsten Flexibilitätsoptionen, also Kraftwerke, Speicher oder Lastmanagementmaßnahmen. Die Ermittlung des Kapazitätsbedarfes sollte dezentral erfolgen, um den Bedarf am Markt konform einzuschätzen und sicherzustellen, dass innovative Lösungen wie virtuelle Kraftwerke, die verschiedene Einspeiser und Nachfragemanagement koordinieren, in vollem Umfang berücksichtigt werden können.
- Kurzfristig – bis zum Zustandekommen eines funktionierenden Kapazitätsmarktes, der die Rolle der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) angemessen widerspiegelt – muss verhindert werden, dass bestehende hocheffiziente KWK-Anlagen der öffentlichen Versorgung abgeschaltet werden, weil sie sich angesichts der aktuellen Bedingungen am Strommarkt nicht mehr rechnen. Dies kann durch eine Änderung des bestehenden Kraft-Wärme- Kopplungs-Gesetzes geschehen. Notwendig ist ein KWK-Bonus für alle bestehenden hocheffizienten KWK-Anlagen der öffentlichen Versorgung. Um weiteren Zubau von KWKAnlagen voranzutreiben, ist die bestehende Förderung so anzupassen, dass ein Zubau unter den jeweils aktuellen Marktbedingungen ermöglicht wird, um das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 rund ein Viertel des Stroms in KWK zu erzeugen, noch zu erreichen. Der Zubau muss auch für die Zeit nach 2020 weiter gesichert werden.