Klimapolitik und fossile Industrien
Gastbeitrag von Jörg Haas
Die große Mehrheit der Menschen kann vom raschen Übergang zu einem regenerativen Energiesystem nur profitieren. Doch der Einfluss fossiler Interessen auf die Politik ist kaum zu überschätzen. Börsennotierte und staatseigene Öl-, Gas- und Kohlefirmen blockieren mit demokratiefeindlichen Methoden jede ambitionierte Klimapolitik, um ihr Geschäftsmodell zu schützen.
Wer sich intensiver mit der Herausforderung des Klimaschutzes befasst, steht erst einmal vor einem Rätsel: Wir wissen seit Langem, wie groß die Risiken des massiven Experiments mit der Biosphäre sind, dem die Menschheit durch den fortwährenden Ausstoß von Treibhausgasen ausgesetzt wird. Zudem wird von Jahr zu Jahr deutlicher, dass die Abkehr von der fossilen Wirtschaft technisch und wirtschaftlich machbar ist, dass er ein Mehr an Gesundheit, Lebensqualität und einen neuen Wohlstand verspricht. Es bedarf nur der Einführung geeigneter politischer Rahmenbedingungen, um die „grüne Revolution“ auf den Weg zu bringen.
Warum, so fragt man sich, geht es dann mit dem Klimaschutz, mit einer weltweiten Energiewende, so zum Verzweifeln langsam voran? Warum klingen die Appelle von Klimawissenschaftler(inne)n oder dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) von Jahr zu Jahr dramatischer? Hätte man mir diese Fragen vor sieben oder acht Jahren gestellt, dann wäre meine Antwort gewesen: Wir kommen so langsam voran, weil die Menschheit sich nicht über eine gerechte Aufteilung der notwendigen Emissionsreduktionen oder auch des verbleibenden Umweltraums für Treibhausgase einigt.
Klimawandel, das war für mich und viele andere vor dem Klimagipfel 2009 in Kopenhagen ein Problem, das auf globalen Konferenzen verhandelt wird und dort gelöst werden kann und muss. Klimagerechtigkeit ist in dieser Problemformulierung eine kritische Voraussetzung für ein globales Klimaabkommen. Konsequenterweise habe ich mich damals intensiv für ein Konzept der Aufteilung von Reduktionsverpflichtungen eingesetzt, das unter dem Namen „Greenhouse Development Rights“ seitdem weltweit Furore gemacht hat.
Doch seit 2009 hat sich meine Sicht verändert. Eine neue Antwort auf die Frage nach dem Grund der unerträglichen Langsamkeit des Klimaschutzes findet sich in der politischen Ökonomie des Klimawandels. Sie ist eng verknüpft mit der politischen Ökonomie der fossilen Wirtschaft.
Wir können nur ein Drittel bis ein Fünftel der weltweiten fossilen Ressourcen verbrennen, wenn wir unterhalb der kritischen Schwelle von zwei Grad durchschnittlichem Temperaturanstieg bleiben wollen.
Bis die Kohleblase platzt
Die britische Carbon Tracker Initiative hat aufgezeigt, was inzwischen auch die internationale Energieagentur oder der Weltklimarat anerkennen: Wir können nur ein Drittel bis ein Fünftel der weltweiten fossilen Ressourcen verbrennen, wenn wir unterhalb der kritischen Schwelle von zwei Grad durchschnittlichem Temperaturanstieg bleiben wollen. Zwei Drittel bis vier Fünftel des fossilen Kohlenstoffs sind „Unburnable Carbon“, unverbrennbarer Kohlenstoff, der unter der Erde bleiben muss, wenn wir unseren Kindern ein lebensfreundliches Klima vererben wollen.
Doch die bisherige Nutzung dieser fossilen Ressourcen hat eine politische Ökonomie geschaffen, deren Einfluss auf politische Entscheidungen kaum zu überschätzen ist. Etwa ein Viertel der fossilen Ressourcen gehört privaten Firmen. Viele von ihnen sind an Börsen gelistet. Ihre ausgewiesenen Reserven gehen als zukünftige Gewinne zu einem erheblichen Teil in ihre Börsenbewertung ein. Öl-, Gas- und Kohlefirmen müssen ständig neue Reserven ausweisen, um ihren Börsenwert zu erhalten. Daher investieren die 200 größten börsennotierten Firmen 674 Milliarden US-Dollar jährlich in die Erschließung neuer fossiler Reserven, obwohl bereits die vorhandenen Reserven weit höher sind als das, was das Weltklima vertragen kann, ohne völlig aus der Balance geworfen zu werden.
All die Kohle, all das Öl und Gas, das wir nicht verbrennen dürfen, sind in die Börsenbewertung fossiler Konzerne eingepreist.
All die Kohle, all das Öl und Gas, das wir nicht verbrennen dürfen, sind also schon in die Börsenbewertung fossiler Konzerne eingepreist. Diese große Wette auf die Selbstzerstörung der Welt hängt als Blase, als „Carbon Bubble“ über dem Markt.
Wenn die Regierungen der Welt mit Klimaschutz ernst machen, würde die Blase platzen, die Börsenbewertung fossiler Firmen massiv einbrechen. Die britische Großbank HSBC hat zum Beispiel analysiert, dass der Börsenwert der größten australischen Bergbaukonzerne fast halbiert würde, wenn es zu einem wirksamen Klimaschutz käme, der die Zwei-Grad-Grenze einhielte. . Daher ist es kein Zufall und auch nicht individuelle Absicht, dass fossile Firmen weltweit ihren Einfluss sehr effektiv geltend machen, um wirksame Klimaschutzgesetzgebung zu verhindern. Die Vorstände dieser Firmen tun das, was in ihrer Pflicht steht, um den Börsenwert ihrer Firmen zu steigern und Schaden von ihren Aktionären abzuwenden.