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Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Analyse für den Kampf um Klimagerechtigkeit?
Klimagerechtigkeit bezieht sich in dieser Sicht nicht mehr auf die bekannte Frontstellung von Industrie- und Entwicklungsländern, wie sie auf Klimaverhandlungen immer wieder aufs Neue zelebriert wird. Es ist nicht mehr die Erzählung von historischen Verschmutzern im Norden, neuen aufsteigenden Schwellenländern, die um ihren Anteil am globalen Gemeingut Atmosphäre kämpfen, und Klimaopfern in Afrika oder kleinen Inselstaaten. Der Kampf um Klimagerechtigkeit spielt sich vielmehr ab zwischen dem fossil-industriellen Komplex, der sein klimazerstörendes Geschäftsmodell verteidigt, und der großen Mehrheit der Menschheit, die vom raschen Übergang auf ein auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystem nur profitieren kann. Die internationale Bewegung für Klimagerechtigkeit wird vor diesem Hintergrund eine früher oft allzu unkritische Solidarisierung mit Entwicklungsländern überdenken müssen. Es gilt vielmehr zu analysieren, in welcher Weise sich der Verwertungsdruck unverbrennbaren Kohlenstoffs jenseits oft wohlfeiler Rhetorik auf Klimakonferenzen in den nationalen und internationalen Politiken und Verhandlungspositionen aller Länder widerspiegelt.
Der Kampf um Klimagerechtigkeit spielt sich vielmehr ab zwischen dem fossil-industriellen Komplex, der sein klimazerstörendes Geschäftsmodell verteidigt, und der großen Mehrheit der Menschheit, die vom raschen Übergang auf ein auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystem nur profitieren kann.
Es gilt weiterhin die Verbindungen insbesondere finanzieller Art zum fossil-industriellen Komplex zu kappen: Wem es mit Klimagerechtigkeit ernst ist, muss Abstand halten, wenn der autoritäre Ölstaat Venezuela 2014 weltweit mit einer Serie sogenannter Pre-COPs, quasi Vortreffen zu den Verhandlungen im Zuge der UN-Klimarahmenkonvention (Conferences of the Parties, COPs), gut Wetter machen will. Auch wenn das Land sich auf Klimakonferenzen mit pseudoradikalen Positionen zu profi – lieren versucht: Venezuelas Teersände im Orinokogürtel sollen unkonventionelles Öl in der Größenordnung der gesamten weltweiten konventionellen Ölreserven enthalten. Ein „Ölsaat“ genannter Plan soll diese gigantischen Reserven von unverbrennbarem Kohlenstoff auf den Markt bringen.
Ebenso ist es ein Unding, wenn das von linken Bewegungen aus aller Welt frequentierte Weltsozialforum teilweise vom brasilianischen Ölkonzern Petrobras gesponsert wird. Noch schlimmer kommt es in Brandenburg: Die von SPD und Linke geführte Landesregierung erwägt allen Ernstes, dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall den Braunkohletagebau abzukaufen. Dabei ist die Braunkohle der deutsche Anteil am globalen „unverbrennbaren Kohlenstoff“, welcher in der Erde bleiben muss, wenn wir unseren Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen wollen. Die Metallarbeitergewerkschaft NUMSA im Kohleland Südafrika zeigt uns dagegen einen anderen Weg: Ihr gewerkschaftseigener Pensionsfonds investiert gezielt in erneuerbare Energien und verknüpft so die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder mit dem Umbau der Energieversorgung weg von der Kohle.
Deutschland spielt beim Ausstieg aus der fossilen politischen Ökonomie eine wichtige Rolle: Es lässt sich schon jetzt zeigen, dass die deutschen Investitionen in erneuerbare Energien massiv zu ihrer beeindruckenden Kostensenkung beigetragen haben.
In der Folge plant nun selbst ein armes Land wie Kenia bis 2016 die Hälfte seines Stroms aus Solarenergie zu gewinnen – übrigens ohne dass dafür internationale Klimafinanzierung fließen muss. Es ist schlicht die günstigste Alternative. Was die durch deutsche EEG-Vergütung verursachte Kostensenkung für Wind- und Solarstrom den Entwicklungsländern an Kosten erspart, ist bisher nicht kalkuliert. Sie könnte die offiziellen Transfers an Klimafinanzierung weit überschreiten. Die historische Verantwortlichkeit für Emissionen und damit auch die moralische Pflicht zur Finanzierung von Anpassung und Klimaschadensausgleich ist hiermit nicht abgegolten.
Klimagerechtigkeit bedeutet in dieser Perspektive nicht nur Emissionsreduktionen, nicht nur Klimafinanzierung für Entwicklungsländer, sondern den Ausstieg unserer Gesellschaften aus der fossilen Wirtschaft und das Ende der Macht der Konzerne über unsere politischen Systeme.
Doch der entscheidende Schritt zur Abkehr von der fossilen Ökonomie ist nun getan. Klimagerechtigkeit bedeutet in dieser Perspektive nicht nur Emissionsreduktionen, nicht nur Klimafinanzierung für Entwicklungsländer, sondern den Ausstieg unserer Gesellschaften aus der fossilen Wirtschaft und das Ende der Macht der Konzerne über unsere politischen Systeme.
Dieser Beitrag erschien zuerst in politische ökologie – Ökologische Gerechtigkeit, 2014_32
Zum Autor: Jörg Haas, geb. 1961, ist Dipl.-Geograf. Nach langer Tätigkeit in der Heinrich Böll Stiftung und bei der European Climate Foundation ist er heute Pressesprecher von Campact.
Kontakt: Campact e.V., Artilleriestr. 6, D-27283 Verden/Aller, E-Mail: haas @ campact.de