Big is beautiful: Tusks Energie-Ideologie
Für Ministerpräsident Tusk sind große Kraftwerke die einzig relevante Säule der Stromerzeugung. Erneuerbare Energien erwähnt er fast nie und wenn, dann verbunden mit heftiger Kritik an ihrer Zuverlässigkeit und ihren angeblich zu hohen Kosten. Im März 2013 sagte er, Polen werde das von Brüssel geforderte Ziel, 15 Prozent seiner Gesamtenergie im Jahr 2020 aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen, erreichen – aber „nichts mehr“. Er werde nicht zulassen, dass sich einige Unternehmen auf Kosten der Bürger schnell bereichern könnten. Das dürfen offenbar nur die großen Stromkonzerne. Inzwischen verdienen PGE und Tauron Milliarden, indem sie importierte Biomasse in ihren alten Kohlekraftwerken verbrennen und dafür vom Staat grüne Zertifikate erhalten, die sie zusätzlich zum Strom verkaufen.
Seit Jahren basiert die polnische Energiepolitik auf einem in der sozialistischen Planwirtschaft geprägten Ansatz: Kraftwerke müssen groß und am besten staatlich sein. Aber viele Polen sehen das mittlerweile anders. Eine 2013 von der Hertie School of Governance durchgeführte Umfrage zeigt eine erstaunlich hohe Akzeptanz für erneuerbare Energien auf lokaler Ebene: 85 Prozent der Kommunen würden sich mehr Unterstützung bei der Entwicklung der Solarenergie, 65 Prozent für die Windenergie wünschen. Gleichzeitig waren nur 19 Prozent für die Entwicklung von Atomenergie und 18 Prozent für mehr Braunkohletagebaue. Dessen ungeachtet schafft der aktuelle Entwurf für ein neues polnisches Fördersystem für erneuerbare Energien kaum Anreize für Kommunen, in die neuen Energietechnologien zu investieren.
Die Diskrepanz zwischen den Prioritäten der Regierung und den Präferenzen der lokalen Bevölkerung wird auch in Teilen der polnischen Politik wahrgenommen, allen voran in der Bauernpartei (PSL). Die PSL ist seit 2007 kleiner Koalitionspartner von Tusks Bürgerplattform. Als Wirtschaftsminister unterstützte der langjährige PSL-Vorsitzende Waldemar Pawlak dabei noch die Entwicklung der Nuklearwirtschaft. Doch seit er 2013 aus der Regierung schied, ist er zu einem der wichtigsten Verfechter der erneuerbaren Energien geworden. Auch der einflussreiche Regierungsberater Krzysztof Zmijewski, der 2008 noch maßgeblich am polnischen Widerstand gegen die europäischen Energie- und Klimaziele für 2020 beteiligt war, spricht sich inzwischen für eine Energiewende nach deutschem Vorbild aus.
Was Deutschland tun kann
Trotzdem bleibt die Position der polnischen Regierung in den aktuellen Verhandlungen über die europäischen Energie- und Klimaziele bis 2030 verhärtet. Grund dafür dürften auch die Parlamentswahlen im Herbst 2015 sein. Für lange Zeit waren sich die beiden großen Parteien PO und PiS in einem Punkt einig: Das 2008 ausgehandelte EU-Klimapaket ist eine Katastrophe für die polnische Wirtschaft. Kaczynski und Tusk stritten sich lediglich darum, wer für die polnische Zustimmung verantwortlich gemacht werden konnte. Über die neuen 2030-Ziele wollen die EU-Staats- und Regierungschefs nun im Oktober 2014 entscheiden. Nachdem sich Tusk und Kaczynski jahrelang einen Überbietungswettkampf in der Verdammung des Kompromisses über die 2020-Ziele geliefert haben, dürfte es für Tusk schwer werden, mit einem neuen 2030-Paket aus Brüssel nach Hause zu kommen, ohne der Kaczynski-Partei kurz vor den Wahlen erhebliche Angriffsfläche zu bieten.
Für eine EU-weite Einigung auf ambitionierte Energie- und Klimaziele bis 2030 ist das eine Hiobsbotschaft. Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, Tusks Zustimmung zu mehr EU-Ambition doch noch zu erhalten. Auch die Zeit nach Ende Oktober 2014, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs die 2030-Klima- und Energieziele verabschieden wollen, ist dafür noch relevant. 2015 wird das Jahr sein, in dem die Gipfelbeschlüsse in konkrete Politik gegossen werden. Für polnische Regierungsvertreter werden sich auch dabei noch viele Möglichkeiten ergeben, die gesetzten Ziele über eine Schwächung der Implementierungsinstrumente auszuhöhlen.
Ein Sieg von Kaczynskis Partei „Recht und Gerechtigkeit“ in den nächsten Wahlen hätte katastrophale Folgen für die polnische und europäische Energiepolitik.
Zunächst jedoch sollte die Bundesregierung ihr grundsätzliches Einverständnis zu Tusks Vorschlag einer Europäischen Energiesicherheitsunion sehr deutlich von der polnischen Zustimmung zu ambitionierten Energie- und Klimazielen im Oktober abhängig machen. Für große Teile der polnischen politischen Elite wäre dabei die europäische und allen voran deutsche Unterstützung für Tusks Vorschlag ein wegweisender Vertrauensbeweis gegenüber Polen. Die weit verbreitete Sicht in Polen, dass die EU-Klimapolitik ein Angriff von in Energiefragen feindlich gesinnten EU-Ländern ist, würde Risse bekommen.
Ein Sieg von Kaczynskis Recht und Gerechtigkeit in den nächsten Wahlen hätte katastrophale Folgen für die polnische und europäische Energiepolitik. Darum müssen Deutschland und andere EU-Regierungen Tusk helfen, sich im Herbst glaubhaft als Sieger eines EU-Kompromisses um die 2030-Ziele darstellen zu können. Dafür braucht er neben einer Vereinbarung für mehr europäische Energiesicherheit Zusagen über erhebliche zusätzliche EU-Investitionshilfen für die Transformation und Dekarbonisierung des polnischen Energiesektors. Anstatt – wie im Energie- und Klimapaket von 2008 – den Bau neuer polnischer Kohlekraftwerke durch die Zuteilung kostenloser Zertifikate zu subventionieren, sollte die EU einen Fonds schaffen, der massiv Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien in den östlichen und südlichen EU-Ländern kofinanzieren kann. Was Tusk innenpolitisch zudem sehr helfen würde, wäre ein EU-Antikrisenpaket für grünes Wachstum in Süd- und Mittelosteuropa, beispielsweise über einen europäischen Investitionsfonds.
Entscheidend ist dabei: Eine gemeinsame europäische Energiepolitik kann es in Zukunft nur geben, wenn Polen im 2030-Paket nicht zu große Zugeständnisse von Deutschland und anderen Staaten in der Frage erhält, wer seinen Energiesektor wie schnell umbauen darf. Die Tusk-Regierung drängt darauf, die [[CO2]]-arme Transformation der polnischen Energiewirtschaft auf die Zeit nach 2030 zu verschieben. Wenn sie damit auch nur annähernd durchkommt, wird der energiepolitische Graben, der sich schon jetzt zwischen Ost- und Westeuropa auftut, weiter aufreißen. Polen muss gedrängt – aber vor allem unterstützt werden – den Weg der europäischen Energiewende mitzugehen. Alles andere wäre ein Megaversagen des europäischen Gedankens.