Energiewende weiterdenken
Mit freundlicher Genehmigung von Eike Wenzel (Erstveröffentlichung in Green Wiwo)
Eike Wenzel leitet das Institut für Trend- und Zukunftsforschung an der Universität Heidelberg – das deutschlandweit erste Trendforschungsunternehmen, das an einer Hochschule angesiedelt ist und wissenschaftliche Forschung betreibt. Wenzel gilt als einer der renommiertesten deutschen Trend- und Zukunftsforscher und hat sich als erster deutscher Wissenschaftler mit den LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) beschäftigt. Im Folgenden schreibt er darüber, warum uns die Anfang August in Kraft getretene EEG-Reform nicht interessieren muss. Denn den tiefgreifenden Wandel der Energieversorgung wird sie kaum beeinflussen.
Schauen wir doch einmal weit nach vorne, über das Jahr 2030 hinaus. Es gibt verlässliche Anzeichen dafür, dass wir in dieser nicht mehr allzu fernen Zukunft über die neueste EEG-Deformation herzlich lachen werden. Es gibt sogar verlässliche Anzeichen dafür, dass wir dann überhaupt keine Energieversorger mehr brauchen. Bis dahin werden wir eine rasante Transformation in eine neue Wertschöpfungskultur und eine neue Weltwirtschaftsordnung vollzogen haben. Ein Forscher, der dafür interessante Argumente zusammen getragen hat, ist der Ökonom Jeremy Rifkin.
Rifkin weist in seinem neuen Buch „The Zero Marginal Cost Society“ auf den Zusammenhang hin, dass atemberaubende Produktivitätsfortschritte in der Kommunikations- und Umwelttechnologie dazu führen, dass Energie und Information auf lange Sicht zum Selbstkostenpreis zu bekommen sind. Rifkin geht sogar noch einen Schritt weiter: Schon heute produziere ein Drittel der Menschheit seine Informationen selbst, streue sie annähernd kostenlos via Smartphone, Computer und Internet in die ganze Welt. Der Energiemarkt, so die steile These von Rifkin, könnte zwischen 2030 und 2040 in ähnlicher Weise funktionieren.
Die Ära der Öl-Scheichs und der Erdgas-Milliardäre mit Kalter-Kriegs-Attitüde wäre dann glücklich überwunden. Aber: die Ära der fetten Margen für die Deckung menschlicher Grundbedürfnisse (Licht, Wärme, Information, Mobilität) wäre damit ebenfalls zu Ende.
Die Null-Margen-Ökonomie existiert bereits
Aber wie kann das aussehen, ein Energiesystem, das keine nennenswerten Margen mehr abwirft (was ja heute auch schon der Fall ist), uns allen jedoch die Perspektive einer Stromerzeugung zum Selbstkostenpreis eröffnet?
Die Argumente für die makroökonomischen Vorteile der Erneuerbaren Energien liegen seit langem auf dem Tisch. Und erst kürzlich hat die Energieexpertin Claudia Kemfert im „Handelsblatt“ erläutert: „Eine konsequente Fortsetzung der in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten eingeleiteten Energiewende würde die Energieimportrechnung der EU bis 2050 um mehr als 500 Milliarden Euro jährlich entlasten.“
Offenbar werden wir uns mit den Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsargumenten noch über Jahre zugleich begeistern und besänftigen müssen – auch wenn dann die neue Energiewelt längst schon am Start steht.
Rifkin wurde im Jahr 2001 anlässlich seines Buches „Access“ dafür belächelt, dass er das Ende des Kaufens und den Beginn einer Ära des Teilens, der Dienstleistungen und des besitzbefreiten Zugangs prophezeite. Wie es aussieht, hat er damit Zeitgeistströmungen der vergangenen rund 20 Jahre und Entwicklungen auf einigen Schlüsselmärkten (Apps, Car-Sharing, Ende des Statussymbols Auto) punktgenau vorhergesagt.
Zwar stehen wir nicht unmittelbar davor, eine Gesellschaft des primitiven Gütertauschs zu werden. Aber wir merken, dass wir vieles, was wir zum Leben brauchen, über Dienstleistungen, Sharing-Systeme, Crowdsourcing, Apps etc. sicherstellen können.
Rifkin sieht eine Null-Margen-Ökonomie im Entstehen begriffen, die nach 2030 unser Leben und Wirtschaften grundlegend bestimmen könnte. Man muss Rifkin nicht in jede Hirnwindung hinein folgen. Aber machen wir uns nichts vor: Wir leben auf vielen Konsumsektoren längst in einer Ökonomie der minimalen Margen. Schauen wir uns nur die Strukturkrise des Handels, der Tageszeitungen an oder die seit Jahrzehnten anhaltende Überkapazitätskrise in der Automobilindustrie.
Aber was führt jetzt dazu, dass auch der Energiemarkt zu einem Markt der minimalen Gewinne avanciert?