Fracking, Protest, Geopolitik

Was das Beispiel Rumänien uns zeigt.
aus IPG – Internationale Politik und Gesellschaft

In der Europäischen Union ist die Debatte um Schiefergasförderung voll entbrannt. Es geht dabei um die Erschließung unkonventioneller, in Gesteinsschichten gebundener Erdgasreserven mit Hilfe einer umstrittenen Fördermethode, dem Fracking. Dazu wird ein Gemisch aus Chemikalien, Sand und Wasser unter hohem Druck in den Untergrund gepresst. So werden Gesteinsschichten, in denen Erdgas eingeschlossen ist, aufgebrochen (hydraulic fracturing).

Die Befürworter der Schiefergasförderung in Europa sehen sich im Aufwind, seit im Zuge der Ukraine-Krise der Wunsch nach mehr Energieunabhängigkeit von Russland wieder lauter geworden ist. Doch auch die Kritiker der Schiefergasförderung führen gewichtige Argumente ins Feld. Gewarnt wird vor hohen Risiken für Grund- und Trinkwasser, Gefahren für einzelne Industriezweige (z.B. Brauereigewerbe), unwirtschaftlichen Investments und Spekulationsblasen, einem extrem hohen Wasserverbrauch, erhöhter Erdbebengefahr, steigenden CO2-Emissionen etc. Auch unter den EU-Mitgliedstaaten gibt es höchst gegensätzliche Positionen. Während einige Regierungen Verbote oder Moratorien verhängten (z.B. Bulgarien, Frankreich), erteilten andere bereits Lizenzen für Probebohrungen oder Förderungen (z.B. Großbritannien, Polen, Rumänien).

Deutschland: Verbote, Ausnahmen, Auflagen

In Deutschland gibt es bislang keine gesetzliche Regelung zur Schiefergasförderung. Das soll sich bald ändern. Zwei SPD-geführte Ministerien, Wirtschaft und Umwelt, wollen nach der Sommerpause eine gesetzliche Regelung vorlegen. Im Programm zur Bundestagswahl 2013 hatte sich die SPD festgelegt: „Wir setzen uns für einen Verzicht des Einsatzes von Fracking ein, bis alle Risiken für Gesundheit und Umwelt bewertet und ausgeschlossen wurden. Dieses Moratorium soll so lange gelten, bis Fracking-Methoden ohne den Einsatz giftiger Chemikalien, die zu einer schädlichen Veränderung des Grund- und Trinkwassers führen, zur Verfügung stehen.“

Nun wird über den Charakter des geplanten Gesetzentwurfes spekuliert. Verbot mit Ausnahmen oder Ermöglichung unter Auflagen? Die bereits vorgelegten Eckpunkte sehen u.a. ein Fracking-Verbot für Schiefergas oberhalb von 3000 Metern sowie für Wasserschutzgebiete, Heilquellenschutzgebiete und für Einzugsbereiche von Talsperren und Seen, die unmittelbar der Trinkwassergewinnung dienen, vor. Wo kein Verbot gelten soll, sind strenge Auflagen angekündigt. Die Länder sollen im Rahmen ihrer Landesentwicklungspläne weitere Regelungen treffen können. Doch das geht vielen nicht weit genug. Während Parteien und Bundesländer derzeit um ihre politische Linie ringen, formiert sich Protest.

In vielen deutschen Kommunen haben sich Initiativen gegründet, die Schiefergasförderung grundsätzlich verhindern wollen. Eine Unterschriftenaktion des Kampagnennetzwerks Campact für ein absolutes Fracking-Verbot brachte in kurzer Zeit fast eine halbe Million Unterzeichner. Kurz: Das Protestpotential ist hoch und das Thema für die politisch Verantwortlichen nicht risikolos. Das zeigt auch die Erfahrung in Ländern, in denen bereits Schiefergasbohrungen stattfinden. Eines davon ist Rumänien und vielleicht lohnt der Blick dorthin, auch für die Debatte in Deutschland.

Rumänien: Schiefergas für mehr Energieunabängigkeit

Nach Polen und Frankreich verfügt Rumänien vermutlich über die größten Schiefergasreserven in Europa. In den vergangenen Jahren erwarben der US-Konzern Chevron und einige andere Energieunternehmen Lizenzen zur Erkundung, Entwicklung und Ausbeutung unkonventioneller Gasreserven in Rumänien. Sie wurden dabei von den konservativen Regierungen unter Emil Boc (2009-2012) und Razvan Ungureanu (2012) unterstützt. Im Zuge von Protesten im Winter 2011/2012 gegen Austeritätsmaßnahmen wurde auch die Schiefergasförderung erstmals Gegenstand einer öffentlichen Debatte und Thema auf Demonstrationen. Das sozialdemokratisch geführte Oppositionsbündnis USL kritisierte zum damaligen Zeitpunkt das Verhalten der konservativen Regierung heftig und warf ihr vor, Umweltrisiken zu missachten und einen Ausverkauf der Ressourcen im Land zu betreiben. Als die USL dann im Mai 2012 nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen die Regierung – das unter anderem mit der Vergabe von Schiefergaslizenzen begründet wurde –  die Regierungsgeschäfte übernahm, verhängte sie ein Moratorium zur weiteren Erkundung von Schiefergasreserven.

Die Kehrtwende kam ein halbes Jahr später, als die USL die Parlamentswahlen im November 2012 gewann. Das nun abgelaufene Moratorium wurde nicht erneuert. Stattdessen erklärte die Regierung die Entwicklung von Schiefergasvorkommen zur Priorität im Energiesektor. Begründet wurde der Wechsel mit der Notwendigkeit, Investitionen anzulocken, Arbeitsplätze zu schaffen und die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. Im Vordergrund stand aber das Argument, die Energieunabhängigkeit des Landes erhöhen zu wollen. Das überrascht zunächst, denn dank seines allgemeinen Ressourcenreichtums ist Rumäniens Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen im Vergleich zu den osteuropäischen EU-Mitgliedern gering.

Nach Polen und Frankreich verfügt Rumänien vermutlich über die größten Schiefergasreserven in Europa.

Während die Baltischen Staaten, die Slowakei oder Bulgarien zwischen 80 Prozent und 100 Prozent ihres Erdgases aus Russland beziehen, erwirtschaftet Rumänien ca. 75 Prozent seines Erdgasbedarfs eigenständig. Doch die verbleibenden 25 Prozent werden beinah komplett aus Russland bezogen, und mit Russland pflegt Rumänien seit Jahrzehnten ein sehr angespanntes Verhältnis. Die Liste der Gründe ist lang: Rumäniens Nato-Beitritt im Jahr 2004, seine Unterstützung für die Westintegration der Republik Moldau, seine Mitwirkung am Aufbau eines US-Raketenabwehrschirms in Europa, Moskaus gegensätzliche energiepolitische Interessen mit Blick auf Pipelines – um nur einige der Gründe jüngeren Datums zu nennen.

Das Argument der Energieunabhängigkeit von Russland verfängt in der rumänischen Öffentlichkeit jedenfalls leicht. Es kann schnell in eine Unterstützung für Schiefergas münden, vor allem wenn energiepolitische Interessengruppen dies tatkräftig befördern. Dies geschah im Falle Rumäniens, wie eine Recherche des Romanian Centre for Investigative Journalism nahe legt. Im Ergebnis wurde im Frühjahr 2013 grünes Licht für Erkundungen von Schiefergaslagerstätten in verschiedenen Landesteilen gegeben.

Proteste: Rumäniens Wutbürger

Die Erkundung der Schiefergasvorkommen in Rumänien war von Beginn an von Widerstand aus der Bevölkerung begleitet. In einer im Juni 2013 veröffentlichten Umfrage im Auftrag der EU-Kommission sprachen sich über 70 Prozent der befragten Rumänen gegen eine Ausbeutung von Schiefergasreserven in Europa aus. Durch unzureichende Kommunikation mit der Öffentlichkeit und ein fragwürdiges Vorgehen einzelner Unternehmen bekamen die Proteste Aufwind. In Siebenbürgen und anderen Regionen fanden verwunderte Bauern auf ihren Feldern Kabel und Markierungen, die dort im Auftrag von Energieunternehmen gelegt wurden. Spezialfahrzeuge bohrten Löcher und erzeugten künstliche Beben. Die Erlaubnis zum Betreten ihres Bodens, zur Verlegung von Kabeln oder dem Bohren von Löchern hatten die Grundstücksbesitzer nicht erteilt. Durch solches Vorgehen spitzten sich die Proteste zu.

Im Rahmen von Kampagnen wie „Frack-Off Romania“ gingen Tausende landesweit auf die Straße. Politisch ist die Protestbewegung heterogen und ambivalent. Umweltschützer marschieren gemeinsam mit Wirtschaftsliberalen, die gegen die Verletzung von Eigentumsrechten protestieren; jugendliche Aktivisten demonstrieren gegen Korruption im Allgemeinen und gegen eine politische Klasse, von der sie sich keine positiven Impulse mehr erhoffen;  orthodoxe Priester rufen zur „Bewahrung der Schöpfung“ auf und wettern gemeinsam mit Nationalisten gegen den Ausverkauf des Landes an Ausländer. In Siebenbürgen und anderen Regionen fanden verwunderte Bauern auf ihren Feldern Kabel und Markierungen, die dort im Auftrag von Energieunternehmen gelegt wurden.

Aber auch Gegner der Proteste fallen durch fragwürdige Argumentationen auf. Von zahlreichen Politikern und Regierungsvertretern wird immer wieder suggeriert, die Demonstrationen seien aus dem Ausland, meist aus Russland, gesteuert, bezahlt oder bestellt; sie würden den Ausbau der Energieunabhängigkeit des Landes gefährden, seien gegen die nationalen Sicherheitsinteressen gerichtet und würden Moskau in die Hände spielen.

Wenn umweltpolitische Demonstrationen auf diese Weise zur „fünften Kolonne“ erklärt und in eine Ecke mit „Marionetten“ oder „Agenten“ gestellt werden, bleibt das auch in der Praxis nicht folgenlos. Die Regierung erklärte das kleine Dorf Pungesti, wo Chevron bis Juli 2014 eine Probebohrung betrieb und sich die Proteste konzentrierten, zu einer „speziellen Sicherheitszone“. Die Konsequenz sind weitreichende Einschränkungen des Versammlungsrechts und der Bewegungsfreiheit. Es kam zu Verhaftungen, Verurteilungen und zur gewaltsamen Räumung von Protestcamps. Die rumänischen Sicherheitskräfte sehen sich über die Landesgrenzen hinaus mit dem Vorwurf konfrontiert, im Umgang mit den Protesten in Pungesti Menschenrechte verletzt zu haben.

Rechtliche Grauzonen

Die Auseinandersetzungen werden auch juristisch geführt. Doch da es in Rumänien – wie aktuell auch noch in Deutschland – keine explizite gesetzliche Regelung zur Schiefergasförderung gibt, existieren rechtliche Grauzonen und unklare Kompetenzen. So verhängten in einigen Gegenden die betroffenen Kommunen Förderverbote, die aber von der Regierung, die sich bei Schiefergas auf ein Gesetz zur Ölförderung beruft, angefochten und in den meisten Fällen gerichtlich wieder aufgehoben wurden. In drei Fällen allerdings bekamen auch die Kommunen Recht, da nach Ansicht des Gerichts Schiefergas als Kategorie in dem besagten Ölgesetz nicht auftauche und daher auch nicht der Regelungskompetenz der Zentralregierung unterliege. Über diese Urteile muss nun ein Revisionsgericht befinden.

Umweltprotest in Zeiten der Geopolitik

Bieten die Erfahrungen aus Rumänien irgendwelche Lehren für die Debatte in Deutschland? Dass bei einer so umstrittenen Technologie klare gesetzliche Regelungen, transparente Verfahren und ein offener und intensiver gesellschaftlicher Diskurs notwendig sind,  versteht sich von selbst, wird aber durch das rumänische Beispiel unterstrichen. Aber es gibt vielleicht noch einen Aspekt der beachtenswert ist: In geopolitisch aufgeheizten Zeiten bedarf es besonderer Umsicht bei der Wahl der Worte. In umwelt- und energiepolitischen Auseinandersetzungen leichtfertig von „ausländischen Interessen“ und „nationaler Sicherheit“ zu reden, lässt solche Umsicht vermissen. Hier besteht die Gefahr der Stimmungsmache, durch die demokratischer Protest schnell zu „gegnerischer Aktion“ umgestempelt werden kann.

Zu weit her geholt? “I have met Allies who can report that Russia, as part of their sophisticated information and disinformation operations, engaged actively with so-called non-governmental organizations, environmental organizations working against shale gas [dt.: Schiefergas], obviously to maintain European dependence on imported Russian gas.” Diese Worte sind nur ein paar Wochen alt und stammen keineswegs von einem rumänischen Schiefergas-Befürworter, sondern vom scheidenden NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Als Leitgedanken für eine informierte umweltpolitische Debatte in Zeiten der Geopolitik möchte man ihm Worte seines designierten Amtsnachfolgers Jens Stoltenberg entgegensetzen: „We must meet prejudice with knowledge.“

Autor: Matthias Jobelius – Veröffentlicht am 18.08.2014 im ipg-journal.de
Siehe auch: Fracking-Dossier auf Solarify