3. Tag: Im Spannungsfeld von Bürgerakzeptanz, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit – wie viel Netzausbau braucht die Energiewende?
Der dritte Tag der 5. Handelsblatt Jahrestagung Erneuerbare Energien stand ganz im Zeichen der Systemintegration der erneuerbaren Energien. Wie viel Netzausbau braucht die Energiewende tatsächlich? Hier gingen die Meinungen am Vormittag auseinander.
Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, sah in der Integration der erneuerbaren Energien die „Großbaustelle der Energiewende“. Angesichts der zunehmenden Einspeisung von volatilen Strommengen aus erneuerbaren Energien reiche die vorhandene Infrastruktur nicht aus. „Der Transportbedarf ist da“, so Homann. „Dabei orientieren wir uns nicht am heutigen Bedarf, sondern daran, was wir in 10 bis 15 Jahren benötigen.“ Trotz eines aktuellen Stromüberschusses müsse das Thema Versorgungssicherheit bereits heute angegangen werden, da es im Zuge des Ausstiegs aus der Kernkraft zukünftig zu Engpässen kommen könnte.
Boris Schucht, Vorsitzender der Geschäftsführung der 50 Hertz Transmission GmbH, unterstrich den Bedarf an Netzausbau. „Wir haben aktuell Überkapazitäten, aber an den falschen Stellen. Zudem sind die Nord-Süd Trassen bei Starkwind heute schon voll ausgelastet.“ Bis 2025 ergebe sich zusätzlich ein Transportbedarf von 25 GW. Ohne zusätzlichen Netzausbau müsse man zukünftig mit einem massiven Kostenanstieg beim Redispatch rechnen. Dies verursache heute schon Kosten in Höhe von 100 bis 200 Millionen Euro pro Jahr. Zudem würden deutlich mehr Eingriffe und Abregelungen nötig. Darüber hinaus drohe Deutschland bis 2025 eine Nord-Südschere bei den Stromkosten – im Süden würden die Strompreise dann um rund ein Drittel höher sein als im Norden. Daher sei aus volkswirtschaftlicher Perspektive ein Netzausbau die günstigste Alternative.
Sichern neue Netze die Produktion von Kohlestrom?
Ganz anders sah das Lorenz Jarass von der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Seine These: Der Netzausbau sei nicht zwingend nötig, er behindere eher die Energiewende. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass es zu kritischen Versorgungssituationen gekommen sei, wenn bei Starkwindeinspeisung gleichzeitig Kohlestrom exportiert wurde. Der Netzausbau diene nur dazu, die Braunkohleeinspeisung in Ost- und Westdeutschland weiter zu stärken. „Und die Kosten für den unnützen Netzausbau trägt der ohnehin schon gebeutelte Stromkunde“, ergänzte Jarass. Daher forderte er kurzfristig regelbare Reservekraftwerke im Süden, die an sonnen- und windarmen Tagen die Stromversorgung sichern. Netzausbau solle es nur im überschaubaren Rahmen geben: Es würden keine neuen Leitungen gebraucht, die Kohlestrom an die ehemaligen Kernkraftstandorte transportierten, man müsse stattdessen regenerative Energie vom Produktions- zum Verbrauchsort bringen.
„Den Bürger mitnehmen“ – transparente Planungsverfahren
Egal wie viel Netzausbau letztendlich nötig wird, in einem Punkt waren sich die Referenten einig – ohne die Akzeptanz der Bevölkerung sei die Energiewende nicht zu realisieren. Transparenz bei der Planung von neuen Trassen sei unerlässlich. Die betroffenen Bürger müssten frühzeitig mit einbezogen werden, so Boris Schucht von 50 Hertz. Weitere Instrumente zur Akzeptanzsteigerung seien Erdverkabelungen, Ausgleichsmaßnahmen, die Nutzung vorhandener Infrastruktur sowie Ausgleichszahlungen an betroffene Gemeinden und Entschädigungen für Grundstückseigentümer. Jochen Homann von der Bundesnetzagentur betonte ebenfalls die Bedeutung von Transparenz im Planungsverfahren, wies aber auch darauf hin, dass die komplexe Thematik für die Bürger oft nur schwer verständlich sei. In einer emotional aufgeladenen Debatte dringe man mit sachlichen Argumenten schwer durch.
Bis zu 30 Mrd. für Verteilnetze – Kostenoptimierung beim Netzausbau
Nach Angaben der dena-Verteilnetzstudie werden die Kosten auf 27 bis 30 Mrd. Euro geschätzt, um die Verteilnetze für den Ausbau der erneuerbaren Energien fit zu machen. „Das ist ein Infrastrukturprojekt, das über mehrere Jahrzehnte verteilt wird. Am Ende ist das dann ein überschaubarer Betrag“, sagte Peter Ahmels von der Deutschen Umwelthilfe. Generell gebe es aber mehrere Möglichkeiten, die Kosten zu reduzieren. So müsse das Netz nicht für jede mögliche Situation ausgelegt werden. „Wir müssen nicht auch noch die letzte Kilowattstunde garantiert abnehmen, 95 bis 98 Prozent wären ausreichend.“ Durch die Kappung um bis zu fünf Prozent der Jahresenergiemenge lasse sich die Netzkapazität um die Hälfte steigern, ergänzte Torsten Maus von der EWE Netz GmbH in Oldenburg. Weiteres Potenzial sahen die beiden im Lastmanagement für industrielle Abnehmer und in Einspeisenetzen, beispielsweise in Ostdeutschland. Dabei werde die Energie von mehreren erneuerbare Energien-Anlagen gesammelt und gebündelt ins Hochspannungsnetz eingespeist.
Durch Flexibilisierung die erneuerbaren Energien integrieren
Schwankungen zwischen null und zwanzig Megawatt allein bei der Windenergie – das System von Angebot und Nachfrage werde deutlich volatiler, erläutert Felix Müsgens von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus. Das wirke sich auch auf die Preise aus. Doch es seien ausreichend Flexibilisierungsoptionen verfügbar oder erschließbar, um diese Schwankungen auszugleichen, z.B. zeitverzögerte Verstromung, Speicher, Einspeisemanagement bei Wind und Photovoltaik, thermische Kraftwerke oder Demand Side Management. Allerdings müssten diese besser koordiniert werden. Bei Wind und PV solle jedoch aus wirtschaftlichen Gründen das technische Potenzial der Flexibilität nicht voll ausgeschöpft werden. Denn erst bei negativen Strompreisen sei ein Abregeln wirtschaftlich sinnvoll.
Um Flexibilitätsoptionen ging es auch den anschließenden Referenten: Marcel Keiffenheim von Greenpeace Energy eG stellte ein neues Modell zur EEG-Direktvermarktung an Endkunden vor. Eine Umfrage unter Ökostromkunden habe ergeben, dass 84 Prozent der Deutschen genauer wissen wollten, woher ihr Strom komme. Hier setzt das Grünstrom-Markt-Modell von Greenpeace Energy an, das z.B. Strom vom örtlichen Bürgerwindpark direkt an die Endkunden vor Ort verkauft. Somit lasse sich die Akzeptanz signifikant erhöhen. Zudem stärkt das Modell die Akteursvielfalt und unterstützt eine bessere Integration der erneuerbaren Energien.
Die Bürgerinnen und Bürger hatte auch Hanno Balzer von Vattenfall Europe New Energy Services GmbH bei seinem Vortrag im Blick. Er befasste sich mit der Frage, wie auf der einen Seite Mieter stärker von der Energiewende profitieren können und auf der anderen Seite z.B. mit KWK-Anlagen ein Beitrag zur Systemstabilisierung geleistet werden kann.
->Quelle: erneuerbare-energien-tagung.de