„In die Energiewende investieren“
Fratzscher nennt die Energiewende „eines der größten wirtschaftspolitischen Experimente“ – es sei „wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Energiewende ein Experiment ist“. Denn es gebe „keine Erfahrungen mit einer solchen wirtschaftspolitischen Maßnahme“. Es gebe stattdessen „viele unbekannte Größen bei diesem Unterfangen“. So wüssten wir nicht, wie sich die Technologien der erneuerbaren Energien entwickeln. Zudem müssten „die wirtschaftspolitischen Eingriffe und Anreize marktkompatibel gemacht werden“. Fratzscher hält es für „enorm wichtig, dass private Investoren und Haushalte die Führung bei der Energiewende annehmen und umsetzen. Es bleibt offen, wie die enormen Investitionen, die notwendig sind, damit die Energiewende ein Erfolg wird, finanziert werden können.“
Diese aktuellen Bedenken in puncto Energiewende müssten ernst genommen werden, auch wenn die Diskussion zu kurz greife. Denn die langfristigen Chancen der Energiewende für Deutschland seien enorm. Wir dürften nämlich „nicht ignorieren, dass die Klimapolitik und die Verringerung von [[CO2]]-Emissionen ganz zentrale Ziele der Energiewende“ seien. Fratzscher zählt diese Ziele noch einmal auf:
- Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch soll bis 2020 von 11 auf 18 und 2050 auf 60 Prozent steigen.
- Die regenerative Stromerzeugung soll 2020 35 und 2050 80 Prozent erreichen.
- Energieeffizienz: Der Primärenergieverbrauch soll bis 2050 um 50 Prozent gegenüber 2008 sinken.
Diese ambitionierten Ziele können laut Fratzscher nur erreicht werden, wenn die Investitionen in erneuerbare Energien massiv erhöht werden.
- In Technologie und Anlagen der Strom- und Wärmeerzeugung müssten bis 2020 jährlich zwischen 17 und 19 Milliarden Euro investiert werden,
- in die Stromnetze knapp 6,1 Milliarden Euro,
- in die Systemintegration erneuerbarer Energien (die verschiedenen Formen der Energieerzeugung müssten systemkompatibel gemacht werden) fast eine Milliarde Euro pro Jahr, schließlich
- ca. 13 Milliarden Euro jährlich in die energetische Gebäudesanierung.
Untern Strich kommt der DIW-Chef bis 2020 auf einen jährlichen Investitionsbedarf zwischen 31 und 38 Milliarden Euro. Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, seien diese Investitionen „unabdingbar“.
400 000 neue Arbeitsplätze – Importabhängigkeit verringert
Die Energiewende sei jedoch nicht nur Kostenfaktor, sondern auch Chance: „Gelingt sie, kann die deutsche Wirtschaft in diesem Bereich global die Führung übernehmen und sich durch Innovation und Technologieentwicklung ein weiteres Standbein aufbauen.“ Immerhin seien durch die erneuerbaren Energien viele Unternehmen entstanden, Fratzscher nennt „fast 400 000“ neue Arbeitsplätze, die allein durch die Produktion von Anlagen, Forschung und Entwicklung, Netzwerken oder anderen Dienstleistungen geschaffen wurden. Man müsse noch viele andere Jobs, etwa bei Zulieferern, dazu zählen. Die Energiewende sei ein Wachstumsmotor: 2020 werde die Wirtschaftsleistung der gesamten deutschen Volkswirtschaft nur auf Grund der Energiewende um 2,8 % höher sein als 2000 – es gebe gute Argumente dafür, dass langfristig die Energiewende das Wachstum und die Dynamik der deutschen Volkswirtschaft verbessern wird.
Schließlich verringere Deutschland die Abhängigkeit von der Einfuhr fossiler Brennstoffe – denn „noch importiert Europa jedes Jahr 350 Milliarden Euro an fossilen Brennstoffen. Die Energiewende sollte langfristig einen großen Teil dieser Importe überflüssig machen und damit auch die politische und wirtschaftspolitische Abhängigkeit von Ländern wie Russland oder dem Mittleren Osten deutlich reduzieren.“