Kernbotschaft: Faktor Energiekosten entscheidet nicht über Zukunftschancen
Allerdings hält Fratzscher viele der gegenwärtigen Bedenken für gerechtfertigt. Die Energiewende dürfe „die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht schädigen und die Versorgungssicherheit nicht gefährden, denn dies würde gleichzeitig die Ziele der Energiewende unerreichbar machen. Viele Diskussionsbeiträge beruhen jedoch auf falschen Fakten und Annahmen.“ So wüssten wenige, dass Energie im deutschen Großhandel derzeit weniger koste als in den USA. Die von der EEG-Umlage ausgenommenen energieintensiven Unternehmen hätten keinen Wettbewerbsnachteil. Zudem stelle der Anteil der Energiekosten am Umsatz (im Durchschnitt 1,6 %) der restlichen 92 % der industriellen Produktion keinen entscheidenden Kostenfaktor dar. Fratzscher nennt es „eine wichtige Kernbotschaft, dass für die große Mehrzahl der Unternehmen in Deutschland der Faktor Energiekosten nicht über die Zukunftschancen entscheidet“.
Allerdings warnt der Ökonom davor, Deutschland könne durch eine verfehlte Energiepolitik seine Vorreiterrolle bei den erneuerbaren Energien gefährden. Laut DIW hätten einige asiatische Länder und die USA Deutschland bereits eingeholt oder gar überholt. Werde die Energiewende verzögert, oder Reformen halbherzig durchgeführt, gefährde das Deutschlands Vorreiterrolle, erhöhe die Kosten und reduziere mögliche wirtschaftliche Vorteile.
Energiewende gelingt nur durch sehr viel höhere Privat-Investitionen
Fratzschers Fazit: „Die Energiewende kann nur durch sehr viel höhere Investitionen von privaten Akteuren gelingen.“ Deshalb fordert er „bessere Rahmenbedingungen und Anreize seitens der Politik“. Die energetische Gebäudesanierung brauche angemessene Zertifizierungen und ergänzende Finanzierungskonzepte. Energieintensive Unternehmen verlangten „spezifische Förderung der innovativen Technologien und eine Reform des europäischen Emissionshandels“. Das EEG müsse „regulatorische Risiken vermeiden und unvollständige Vertragsmärkte berücksichtigen, so dass breite Gruppen von Investoren beteiligt werden können“. Von der Bundesregierung verlangt der Autor zudem, dass sie diese Reformen nicht nur in Deutschland, sondern auch auf EU-Ebene voranbringe.
Marcel Fratzscher, Jahrgang 1971, studierte in Kiel, Oxford, Harvard und Florenz. Nach verschiedenen beruflichen Stationen, u. a. bei der Europäischen Zentralbank, der Weltbank und dem Peterson Institute for International Economics in Washington DC, sowie dem Harvard Institute for International Development in Jakarta, Indonesien, ist er heute Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Marcel Fratzscher lebt in Berlin.
Marcel Fratzscher: Die Deutschland-Illusion – Warum wir unsere Wirtschaft überschätzen und Europa brauchen (Hanser Verlag)
Erscheinungsdatum: 29.09.2014, Fester Einband, 278 Seiten, Preis: € 19,90 – ISBN 978-3-446-44034-0
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