5. Von der Theorie zur Praxis
Bezieht man sich auf die Ziele, die im Rahmen des nationalen Energiewende-Gesetzes verabschiedet werden sollen, steht außer Frage, dass Frankreich ähnlich wie Deutschland in punkto Klimawandel und nachhaltige Energiepolitik zur Avantgarde Europas aufsteigen will. Dass dies auch außenpolitisch sichtbar sein soll, indem man als Gastgeber der mit hohen Erwartungen verbundenen internationalen Klimakonferenz 2015 in Paris eine Modellfunktion übernimmt, ist ebenfalls positiv zu werten. Aber schon ein Kratzen an dieser schönen Fassade lässt viele Experten daran zweifeln, ob aktuell der politische Wille vorhanden ist, ein solches Gesellschaftsprojekt auch zu stemmen.
In erster Linie ist das natürlich eine politische Frage Staatspräsident François Hollande steckt aktuell in einem Umfragetief, und es ist fraglich, ob er bereit ist, das bestehende politische Kapital in ein bis dato politisch wenig tragfähiges Thema zu investieren. Hinzu kommt, dass die Regierung, anders als in Deutschland nach Fukushima, gegen den Strom schwimmt. Der erste Versuch, das älteste und an Deutschland angrenzende Atomkraftwerk Fessenheim gemäß seines Wahlversprechens zu schließen, ist rasch an der Opposition der lokalen Akteure gescheitert, teilweise unterstützt von lokalen Repräsentanten der sozialistischen Regierungspartei. Auch hinsichtlich der Energiekosten sitzt die französische Regierung gegenüber der Industrie am kürzeren Hebel In Zeiten massiver Arbeitslosigkeit kann die Gefährdung von Arbeitsplätzen schnell dazu führen, dass Entscheidungen widerrufen werden, wie es erst kürzlich der Fall war, als lokale Proteste zum Fallenlassen der seit drei Jahren geplanten LKW-Maut auf Nationalstraßen geführt haben.
6. Die Energiewende als wirtschaftliches Erfolgsmodell
Um diesen Risiken entgegenzuwirken, setzt die Regierung sehr stark auf den Diskurs des „grünen Wachstums“, wie schon aus dem derzeitigen Titel des Gesetzentwurfs („für die Energiewende und grünes Wachstum“) hervorgeht. Über Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz sollen zahlreiche lokale Arbeitsplätze entstehen, wobei ironischerweise die sonst oftmals kritisch betrachtete deutsche Energiewende als Beispiel dient. Dass sich dieser Plan auch über die Schaffung von Arbeitsplätzen hinaus rechnen kann, zeigt ein Blick auf die Energieimportkosten: In Deutschland wie in Frankreich entsprechen fossile Energieimporte jährlichen Ausgaben von 1 000 Euro pro Einwohner. Während Deutschland dies zumindest teilweise durch Außenhandelsüberschüsse kompensieren kann, kommt in Frankreich hinzu, dass die Energieimportkosten (66 Milliarden Euro in 2013) das allgemeine Außenhandelsdefizit (61 Milliarden Euro) sogar noch übersteigen.
Damit diese Vision eines nachhaltigen Wirtschaftsmodells in die Praxis umgesetzt werden kann, muss in Frankreich zumindest noch ein zentraler Baustein hinzukommen: ein umfassendes Finanzierungsinstrument wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Deutschland, um über zinsgünstiges Kapital (und ohne Auswirkungen auf die Staatsschulden) massive Investitionen tätigen zu können. Zwar wurden in Frankreich in jüngsten Jahren für verschiedene Zwecke eine Vielzahl von öffentlichen Finanzierungsinstitutionen und -mechanismen geschaffen, doch hat keine bislang die Breite und Effizienz einer KfW erreicht.
Vielmehr besteht das Risiko, dass Frankreich aufgrund der zahlreichen sektorspezifischen Finanzierungsinitiativen mögliche Skaleneffekte ungenutzt lässt und diese stattdessen durch unnötige Komplexität verhindert werden. Derzeit werden nicht weniger als vier verschiedene Ansätze diskutiert, um die Finanzierungsbedingungen in einem spezifischen Gebäudesektor (Drittfinanzierung und Contracting für die Sanierung öffentlicher Gebäude, ein Refinanzierungsmechanismus mit staatlicher Garantie, um die Kreditvergabe an Privathaushalte zu fördern; eine Erweiterung der Finanzierungsinstrumente der staatlichen Caisse des Dépôts zugunsten von Gemeinden; eine Erweiterung der Steuerermäßigungen zur Förderung von Sanierungsinvestitionen) zu erleichtern. Dies ist umso erstaunlicher, da zumindest im Abschlussbericht des Gremiums der nationalen Debatte zur Energiewende auf die Notwendigkeit hingewiesen wurde, „eine französische KfW zu gründen“, um sämtliche Investitionen der Energiewende über einen zentralen Mechanismus zu finanzieren. In der Tat haben die während der Debatte durchgeführten ökonomischen Studien gezeigt, dass eine ambitionierte Energiewende zusätzliche Investitionen von 20 bis 30 Milliarden Euro erfordern würde, was einen soliden Refinanzierungsmechanismus (über internationale Kapitalmärkte, wie es bei der KfW der Fall ist) unverzichtbar macht Als Orientierungspunkt kann festgehalten werden, dass die KfW auf den Finanzmärkten aktuell ca. 75 bis 80 Milliarden Euro jährlich „hebt“. wovon 40 Milliarden direkt in Investitionen für die Energiewende und Nachhaltigkeit fließen.
Eine zweite zentrale Frage besteht im Hinblick auf die Fiskalreform. Trotz zahlreicher Ideen und Versuche (unter anderem eine [[CO2]]-Steuer unter Nicolas Sarkozy) hat sich Frankreich bislang noch nicht wirklich in Richtung einer weitreichenden ökologischen Steuerreform bewegen können. Ob und wie dies gelingen kann, bleibt gerade in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftslage und der sehr hohen Steuerbelastung ein schwieriges Thema, das innerhalb der nächsten Jahre jedoch nicht umgangen werden kann. Seit 2014 wurde zumindest die allgemeine Energieverbrauchsteuer (Taxe Intérieure de Consommation sur les Produits Energétiques) so umgestaltet, dass sie in Zukunft in Zusammenhang mit der [[CO2]]-lntensität der verschiedenen Energieträger berechnet wird.