Abschaltung alter Kohlekraftwerke könnte CO2-Ausstoß in Deutschland um 23 Mio. Tonnen reduzieren und den Strommarkt stabilisieren
Die Kohleverstromung boomt – und die Treibhausgasemissionen steigen. Verantwortlich dafür sind niedrige Kohlepreise und billige CO2-Zertifikate; emissionsärmere Gaskraftwerke werden aus dem Strommarkt gedrängt. Nach Prognosen des Bundesumweltministeriums wird Deutschland bis 2020 trotz des Erfolgs der erneuerbaren Energien seine CO2-Emissionen voraussichtlich nur um 33 Prozent statt der angestrebten 40 Prozent gegenüber 1990 verringern. Das Klimaschutzziel der Bundesregierung würde um 70 Millionen Tonnen CO2– verfehlt.
Mit dem „Klimaschutzaktionsprogramm 2020“ will die Bundesregierung am 03.12.2014 Maßnahmen vorstellen, wie Deutschland seine Klimaschutzziele doch noch erreichen kann. Neben der Emissionsminderung im Wärme- oder Verkehrssektor wird dabei der Stromsektor eine entscheidende Rolle spielen. Welchen Beitrag dieser konkret leisten könnte, um die Klimaschutzlücke zu schließen, zeige eine neue Studie, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Auftraggeber: des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), der Heinrich-Böll-Stiftung und der European Climate Foundation.
Zentrale Ergebnisse der Studie
Die Abschaltung alter und CO2-intensiver Kohlekraftwerke in Deutschland könnte einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele der Bundesregierung leisten. Weil gleichzeitig die Börsenstrompreise moderat stiegen, würde sich die Stromerzeugung der für die Energiewende wichtigen Gaskraftwerke wieder mehr rentieren. Aufgrund des gestiegenen Großhandelspreises sänke außerdem die EEG-Umlage. Den Szenariorechnungen zufolge könnten im kommenden Jahr rund 23 Mio t CO2 weniger ausgestoßen werden, wenn Steinkohlekraftwerke mit einer Kapazität von drei Gigawatt und Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von sechs Gigawatt vom Netz genommen würden.
Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt des DIW Berlin: „Der Stromsektor sollte einen stärkeren Beitrag zum Erreichen der kurz- und mittelfristigen Klimaziele leisten, indem CO2-intensive, ineffiziente Kohlekraftwerke durch effizientere Gaskraftwerke ersetzt werden. Weil dem Klima und dem Strommarkt gleichzeitig geholfen wäre, winkt sogar eine doppelte Dividende.“ Der Börsenstrompreis würde zwar moderat steigen, dies verbessere jedoch die Wirtschaftlichkeit der Gaskraftwerke, so Kemfert. „Insgesamt sind Preissteigerungen für private Stromkunden kaum zu erwarten.“
Bundesregierung wird ihre Klimaziele ohne weitere Maßnahmen verfehlen
Der Handlungsbedarf erscheint umso dringender, als die CO2-Emissionen in Deutschland auch aufgrund der wachsenden Kohleverstromung zuletzt sogar wieder gestiegen sind. Da ein substanzieller Teil der Kohleverstromung durch bestehende Gaskraftwerke ersetzt werden könnte, ist die Stilllegung alter Kohlekraftwerke ein möglicher Hebel, dem Emissionsminderungsziel doch noch näher zu kommen. Allerdings bestehen noch offene Fragen hinsichtlich der konkreten politischen Umsetzung, der rechtlichen Konsequenzen sowie der europäischen Wechselwirkungen einer forcierten Stilllegung von Kohlekraftwerken.
Das DIW Berlin hat für seine Studie unterschiedliche Szenarien der Abschaltung von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken modelliert, durch die ein Teil der sogenannten Klimaschutzlücke geschlossen werden könnte. Das Hauptszenario, in dem drei Gigawatt Steinkohle und sechs Gigawatt Braunkohle vom Netz genommen werden, ergibt eine Reduktion der CO2-Emissionen von rund 23 Millionen Tonnen; dabei verschiebt sich die Stromerzeugung von der CO2intensiven Braunkohle hin zur Erdgasverstromung. Auch die Steinkohleverstromung nimmt in diesem Szenario tendenziell zu, jedoch werden im Hinblick auf den CO2-Ausstoß ineffiziente Kraftwerke durch effizientere ersetzt.
Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung: „Angesichts des klimaschutzpolitischen Handlungsdrucks und der Unwucht auf dem Strommarkt ist die schrittweise Abschaltung von Kohlekraftwerken unverzichtbar. Wir sind mit der Energiewende in Deutschland keineswegs isoliert, sondern befinden uns international in guter Gesellschaft. Insbesondere die skandinavischen Länder sind uns auf dem Weg zu einer CO2-neutralen Energiewirtschaft schon deutlich voraus. Jetzt haben sich auch die USA und China verständigt, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu verstärken.
Wenn wir Vorreiter eines globalen Trends bleiben wollen, dürfen wir unsere klimapolitischen Ziele nicht zurückfahren. Es geht darum, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und zugleich die ökologische Modernisierung unserer Wirtschaft voranzutreiben. Es ist auch aus industriepolitischer Sicht das falsche Signal, die Energiewende abzubremsen, statt den ökologischen Strukturwandel voranzutreiben und die Bundesrepublik zum Vorreiter einer weltweiten grünen industriellen Revolution zu machen. Sigmar Gabriel führt eine Phantomdebatte, wenn er Atom- und Kohleausstieg gegeneinander ausspielt. Nicht einmal die radikalsten Ökologen wollen zeitgleich aus der Kernenergie und der Kohle aussteigen.
Aber zugleich ist klar, dass wir JETZT damit beginnen müssen, die CO2-Emissionen aus der Kohleverstromung zu reduzieren und verstärkt auf moderne, hoch effiziente Gaskraftwerke als Ergänzung zum Ausbau der erneuerbaren Energien zu setzen. Wer eine Bestandsgarantie für die Braunkohle abgibt, gibt die Energiewende auf und schreibt den Klimaschutz ab. Wir wollen mit der Studie einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten und zeigen, dass Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit auf einen Nenner gebracht werden können.“
Martin Rocholl, Leiter der European Climate Foundation in Deutschland, sieht in einem strukturierten Kohleausstieg ebenfalls viele Vorteile: „Die Stilllegung alter und ineffizienter Kohlekraftwerke erleichtert das Erreichen der Klimaschutzziele. Der Börsenstrompreis würde zwar moderat steigen. Dieser Anstieg wäre jedoch geringer als der Verfall des Strompreises in den letzten Jahren und läge eher unter den Kosten der derzeit diskutierten Kapazitätsmechanismen“, so Rocholl.
Energieeffizienz in den Bereichen Verkehr und Gebäude muss steigen
Das Abschalten einzelner Kraftwerke alleine würde allerdings kaum ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Weitere Maßnahmen im Strombereich wären nötig, darunter eine Reform des europäischen Emissionshandels, ein verstärkter Ausbau erneuerbarer Energien und eine weitere Verbesserung der Energieeffizienz. Auch andere Sektoren wie Verkehr, Industrie, Handel und private Haushalte müssten einen relevanten Beitrag leisten, sind sich das DIW Berlin, die Heinrich-Böll-Stiftung und die European Climate Foundation einig: „Nötig sind vor allem verstärkte Anstrengungen, die Energieeffizienz im Gebäudebereich und im Verkehr zu steigern. Die Klimaziele sind nur in einer konzertierten Aktion zu erreichen, die alle volkswirtschaftlichen Sektoren einbezieht.“
Die Studie des DIW Berlin bildet den Auftakt einer längerfristigen Kooperation zwischen den drei Projektpartnern im Hinblick auf die Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015. So werden die Projektpartner beispielsweise im ersten Halbjahr des kommenden Jahres zum Thema Klimaziele ein längerfristiges Szenario mit der Perspektive 2025 bis 2035 vorlegen. Dieses wird die Verbindungen des deutschen Strommarkts mit den europäischen Nachbarländern expliziter berücksichtigen und die Auswirkungen verschiedener Stabilisierungsmechanismen des Strommarkts auf energieintensive Industrien, die im internationalen Wettbewerb stehen, sowie auf die Beschäftigung bei den Stromerzeugern genauer betrachten.
->Quellen:
- diw.de
- diw.de/Studie
- DIW Wochenbericht 47/2014
- europeanclimate.org/Zusammenfassung-Studie
- DIW Wochenbericht 47/2014 als E-Book
- Fücks-Statement in PK
- Interview mit Claudia Kemfert