Fast ein Drittel der ISDS-Verfahren gewannen Investoren
Von 247 abgeschlossenen Streitfällen bis Ende 2013 wurden ungefähr 43 Prozent zugunsten des Staates und 31 Prozent zugunsten des Investors entschieden. Die restlichen 26 Prozent der Fälle konnten beigelegt werden, so die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Bisher gab es noch keinen ISDS-Streitfall zwischen den USA und einem EU-15-Land. Allerdings gab es einige Streitfälle zwischen US-Investoren und Mitgliedsstaaten, die der EU nach 2000 beitraten.
Die Nichtregierungsorganisation (NGO) Friends of the Earth veröffentlichte in der letzten Woche ihre Recherchen über 127 bekannte ISDS-Streitfälle, die seit 1994 gegen Mitgliedsstaaten der EU vorgebracht wurden. „Der Gesamtbetrag, der ausländischen Investoren zugesprochen wurde – inklusive Zinsen, Schlichtungsgebühren, und anderer Ausgaben und Gebühren, sowie der einzigen bekannten Abfindungszahlung, die ein Mitgliedsstaat leisten musste – war für 14 der 127 Streitfälle (11 Prozent) öffentlich zugänglich und beträgt 3,5 Milliarden Euro“, sagt Friends oft he Earth.
Diese Klauseln würden es Großkonzernen ermöglichen, Regierungen zu verklagen, wenden ISDS-Gegner ein. Dadurch könnten Unternehmensinteressen den souveränen Willen demokratischer Staaten anfechten. Gewerkschaften, Verbrauchergruppen und Umweltschützer laufen Sturm gegen das Abkommen. Die Mitte-Links-Fraktionen des Europaparlaments, darunter die sozialdemokratische S&D-Fraktion, stimmten dagegen. Dasselbe gilt für das französische und niederländische Parlament.
Schiedsgerichte als Bedrohung für Anordnungen und Gesetze?
Die Gegner berufen sich unter anderem auf das laufende Schlichtungsverfahren des Tabakriesen Philip Morris gegen Uruguay und Australien. Dabei geht es um Warnungen vor Gesundheitsrisiken auf Zigarettenpackungen. Ein anderer, viel beachteter Streitfall ist die Schadensersatzforderung des schwedischen Energieriesen Vattenfall (ICSID Case No. ARB/12/12). Deutschland soll aufgrund des Regierungsbeschlusses, aus der Atomenergie auszusteigen, nach unterschiedlichen Meldungen zwischen 3,7 und 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz zahlen.
[note Berlin: (11.12.2014) Um die vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall eingereichte Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Atomausstiegs geht es in einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke (18/3434). Bei der Klage handelt es sich um ein sogenanntes Investor-Schiedsverfahren. Die Bundesregierung soll angeben, wie Vattenfall die Höhe der Klageforderung von 4,675 Milliarden Euro begründet. Die Bundesregierung soll auch mitteilen, ob die von Vattenfall geforderte Verzinsung der Klageforderung angesichts der Niedrigzinsphase gerechtfertigt ist und welche Kosten für Rechtsanwälte und Gutachter bisher anfielen. Gefragt wird weiter, ob auch der Energieversorger E.ON durch einen Erfolg der Klage von Vattenfall Entschädigungszahlungen erhalten würde. (bundestag.de/hib)]
BusinessEurope vertritt die Interessen der europäischen Arbeitgeberverbände. Die Gruppe erklärt in einer Mitteilung zu ISDS: „Unter gar keinen Umständen bedeutet ein Urteil unter dem ISDS die Rücknahme eines Gesetzes, einer Verordnung oder irgendeiner anderen Maßnahme, sogar bei Streitfällen, bei denen ein bestimmtes Gesetz, eine bestimmte Verordnung oder Maßnahme als Bruch des bilateralen Abkommens aufgefasst wurde“.
Die Gegner führen die Forderung von Philip Morris nach einer Rücknahme oder Aussetzung der australischen Verpackungsgesetze als Gegenargument an. Dieser Vorgang zeige, dass die Argumentation BusinessEuropes nicht stimme, so die NGOs. Allerdings kann der Fall Philip Morris (noch) nicht als Maßstab für Schiedsgerichte gelten, denn der Streitfall mit Australien ist noch nicht abgeschlossen.
[note Beispiel Fracking: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten geraten unter Druck, Risikotechnologien wie Fracking zuzulassen. Weil sie bereits Testbohrungen in Polen durchführt, könnte die US-Firma Chevron bereits die Grundlage für eine „Investition“ geschaffen haben. Die polnische Regierung bereitet derzeit eine Verordnung vor, die konkrete Umweltauflagen für Fracking definiert. Diese würde die Gewinnerwartungen von Chevron natürlich stark beeinflussen. Kein Wunder also, dass sich Chevron massiv dafür eingesetzt hat, dass Investor-Staat-Klagen Teil des TTIP werden. Allein die Androhung einer Investor-Staat-Klage wäre ein starkes Druckmittel auf den polnischen Gesetzgeber und könnte starke Auflagen verhindern. Auch andere EU-Mitgliedsstaaten könnten sich auf Klagen gefasst machen. In Deutschland etwa besteht derzeit faktisch ein Moratorium gegen Fracking. Der kanadische Bundesstaat Québec wurde wegen eines solchen Moratoriums in einer Investorenklage des US-Konzerns Lone Pine 250 Mio. US-Dollar Schadensersatz verklagt. (Mehr zum Thema Fracking & CETA hier)]
Folgt: Malmström: „Kein Staat darf dazu gezwungen werden, eine Maßnahme aufzuheben“