Desertec war aber doch ursprünglich ein „400 Milliarden-Euro-Projekt“ mit gewaltigen solarthermischen Anlagen für den Stromexport nach Europa – andere nannten es gar ein zweites „Apollo-Mondlandungs-Projekt“. Wo ist das geblieben?
Ehrlich gesagt habe ich nie ganz nachvollziehen können, wie dieser Medienhype entstanden ist. Das war 2009 zweifellos Wunschdenken gewisser Akteure, aber das Ziel der Dii war eigentlich schon von Anfang an die Förderung von Erneuerbaren Energien d.h. der verschiedenen Technologien im MENA-Raum und das Zusammenwachsen der Strommärkte von Europa und MENA. Nur mit den größten Anstrengungen haben wir dann einen Teil der Medien für diese, später präzisierten Ziele gewinnen können – mitten in einer verwirrenden Dynamik von Energiemarkt und Politik.
Kann die Dii also zufrieden mit ihren Errungenschaften sein?
Absolut, wir haben Wüstenstrom in breitem Kreis „salonfähig“ gemacht. Was vor einigen Jahren noch als „exotisch“, teilweise als „Lachnummer“ dargestellt wurde, wird nun bald ein überzeugender wirtschaftlicher Faktor, umweltfreundlich, sicher und preiswert. Man denke an das enorme Windpotenzial, das heute in Ägypten, Marokko und anderen Ländern bereits erschlossen wird. Man denke an die Photovoltaik – in Dubai wird die Kilowattstunde Strom bald für 5 Eurocent erzeugt werden. Man denke an die entstehenden solarthermischen Anlagen in Marokko und Abu Dhabi. Auch sehen wir fast überall Verstärkungen der Netzinfrastruktur, lokal aber auch international, inklusive Kopplungen zwischen Europa, West-Asien und Nord Afrika. Wir sehen ambitionierte Pläne für den Ausbau von erneuerbaren Energien in MENA und der Türkei bis 2020 in Höhe von 30 GW. Das stimmt mich sehr zufrieden, obwohl es natürlich erst der Anlauf für die beschleunigte „große Energiewende“ ist. Wir sind aber schon heute vielen Regierungen in der Region, aber auch in Europa, besonders der deutschen sehr dankbar für ihre Unterstützung.
Also „Mission accomplished“ – und das war es dann…? Desertec Exit?
Unter anderem mit dem Urvater der Desertec-Idee, Gerhard Knies, bauen wir das allgemeine Gedankengut von der Energie aus den Wüsten für die Weltbevölkerung von morgen weiter aus. Der Fokus liegt eher auf der Mobilisierung der Völkergemeinschaft, darauf, dass sich die Länder mehr für die Wüstenstrom-Option einsetzen. In der Praxis, auf die sich die Dii von Anfang an konzentriert hat, werden wir uns vorläufig fast ganz auf die reellen Konditionen für Wind- und Sonnenprojekte in einigen ausgewählten MENA-Ländern konzentrieren. Dazu werden wir hauptsächlich von einer neuen Basis in Dubai aus arbeiten. Die drei Gesellschafter der Dii, ACWA Power, RWE und SGCC, werden die Expertise der Dii GmbH für eigene Zwecke einsetzen, Der Markt für die Erneuerbaren wird schnell erwachsen und ein intensiver Erfahrungsaustausch zwischen den Marktteilnehmern ist sehr gefragt. Deswegen wird die Dii ihre Dienstleistungen auch Drittpartnern anbieten. Dazu wird sie unter dem Titel „Supporters of Desert Energy“ ein relativ lockeres Netzwerk aufbauen und betreuen.
Paul van Son, 61, verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in Management- und Führungspositionen der internationalen (erneuerbaren) Energiebranche. Der Experte für erneuerbare Energien arbeitete für europäische EVU wie Siemens AG, SEP/TenneT und KEMA Consulting. Bevor er die 2009 Geschäftsführung der Dii GmbH übernahm, baute er als Chef des Versorgers Essent, der 2010 von RWE übernommen wurde, zunächst den internationalen Energiehandel und die erneuerbaren Energien, ab 2003 dessen Deutschland-Geschäft auf. Er machte das Unternehmen zu einem der erfolgreichsten ausländischen Wettbewerber auf dem als schwierig geltenden deutschen Energiemarkt, erfand unter anderem 1998 das Produkt „Grüner Strom“. Van Son gründete 2003 Energy4All, eine Stiftung zur Förderung dezentraler Energie- und Kommunikationssysteme in Afrika. Von 1999 bis 2012 war er Vorsitzender der European Federation of Energy Traders.