Der „228-Millionen-Euro-Brief“: Lieferten CDU-Vertreter Begründung für Klage gegen Moratorium im AKW Unterweser?
Miriam Staudte (MdL, GRÜNE): Stümperei und Gedankenlosigkeit oder Vorsatz?
Die Atomkonzerne E.ON, RWE und EnBW stützten ihre im April 2014 eingereichten Klagen auf rund 228 Millionen Euro gegen das dreimonatige Atom-Moratorium im Fukushima-Jahr 2011 auf ein Schreiben, das die RWE-Konzernspitze bei der Politik angefordert habe – berichtete das Fernsehmagazin Monitor. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier habe auf Anfrage des damaligen RWE-Chefs einen entsprechenden Brief verfasst, was zwischen dem damaligen Kanzleramts-Chef Pofalla (CDU) und RWE abgesprochen gewesen sei. So die niedersächsische Landtagsabgeordnete Miriam Staudte von Bündnis 90/Die Grünen am 21.01.2015 in einer Aktuellen Stunde des Landtags .
Monitor-Pressemeldung (15.01.2015): Politik verhilft Atomkonzernen zu 882-Millionen-Euro-Klagen – Grünen-Bundestagsfraktion fasst Untersuchungs-Ausschuss ins Auge – Die schwarzgelbe Bundesregierung hat der Atomindustrie offenbar zu Millionen-Klagen verholfen. Das geht aus einem bisher unveröffentlichten Briefwechsel hervor, über den MONITOR berichtet. Darin bittet der damalige RWE-Vorstandsvorsitzende, Jürgen Großmann, den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier ausdrücklich um ein Schreiben, das heute als wesentliche Grundlage für Schadensersatzklagen der Atomkonzerne dient. „Der Brief ist von RWE bestellt worden und die Politik hat geliefert“, sagt Joachim Wieland, Professor für Öffentliches Recht an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. „Ein solcher Vorgang hat mit Rechtstaatlichkeit nichts mehr zu tun“, urteilt der ehemalige Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium Wolfgang Renneberg. „So sind die Millionen-Klagen der Atomkonzerne erst möglich gemacht worden“.
Monitor veröffentlicht in dem Beitrag, dass RWE seine Klage gegen die Abschaltung von Biblis B auf einen Brief des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier vom 13.06.2011 stützte. Und auch die anderen Atom-Konzerne begründen ihre Klagen (gegen die Abschaltungen von Unterweser und Isar 1) unter anderem damit.
Nachdem ab dem 11.03.2011 die Bilder vom Fukushima-Gau um die Welt gingen, fühlte sich die schwarz-gelbe Bundesregierung nach ihrer umstrittenen Laufzeitverlängerung immer stärker unter Druck. Im baden-württembergischen Wahlkampf musste daher für die Öffentlichkeit eine Kehrtwende her: Ein dreimonatiges Moratorium für die sieben ältesten Atommeiler wurde verordnet. Doch ganz so überzeugt scheinen die Akteure von ihrem – zunächst kurzfristigen – Atomausstieg doch nicht gewesen zu sein. Denn der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) schrieb am 13.06.2011, zwei Tage vor Ablaufen des Moratoriums – unter anderem an RWE-Chef Jürgen Großmann:
[note „Unter Hinweis auf das derzeit laufende Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des Atomgesetzes gehe ich davon aus, dass Sie von ihrem Recht, Biblis B nach Ablauf der einstweiligen Betriebseinstellung am 18.06.2011 wieder anzufahren, im Hinblick auf vertrauensvolle Zusammenarbeit auch in Zukunft mit den hessischen Behörden keinen Gebrauch machen. Sollte meine Einschätzung nicht den Tatsachen entsprechen und Sie ein Wiederanfahren von Biblis B in Erwägung ziehen, darf ich sie vorsorglich darauf hinweisen, dass die hessische Atomaufsicht – auch im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit als übergeordnete Behörde – dagegen vorgehen wird….“]
Das habe sich für das juristisch ungeübte Ohr zwar zunächst engagiert angehört, aber in Wirklichkeit habe Bouffier mit dieser versteckten Drohung eine Begründung für die Klagen der EVU geliefert, denn das, was er androhte, wäre eine missbräuchliche Ausübung der Atomaufsicht gewesen. Staudte: „An diesem Punkt könnte man noch sagen: Was für eine Stümperei! – Der hat keine Ahnung und auch noch schlechte Berater. Neu ist nun aber, dass dieses Schreiben von RWE quasi bestellt war“. Sieben Tage zuvor nämlich hatte Großmann eigens aus den USA geschrieben:
[note „Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Herr Bouffier, der 15. Juni und damit der Tag, an dem wir Biblis B wieder anfahren könnten, rückt näher. Herr Minister Pofalla sagte mir zu, mir bis dorthin wieder einen schriftlichen Bescheid zu geben, dass Sie ein eventuelles Anfahren verhindern werden. Wann können wir mit diesem Schreiben rechnen?
Grüße aus den USA,
Jürgen Großmann“]
Bouffiers Brief sei also bestellt gewesen und damit Beleg dafür, dass es sich nicht um Stümperei und/oder Gedankenlosigkeit gehandelt habe, sondern um Vorsatz, so Staudte. Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, Ex-Umweltminister Norbert Röttgen und der hessische Ministerpräsident standen nach den Hinweisen offenbar im Austausch – wissentlich seien mögliche Schadenersatzklagen zu Lasten des Steuerzahlers in dreistelliger Millionenhöhe in Kauf genommen worden – insgesamt 882 Millionen Euro, darin u.a. 228 Mio. für Unterweser, 253 Mio. für Biblis B, 152 für Isar I.
Pofalla, Röttgen und Bouffier hätten – so Staudte – RWE nicht die Stirn geboten, wie sie der Öffentlichkeit weismachen wollten, sondern seien vielmehr Erfüllungsgehilfen bei der Begründung der Klagen gewesen. „Und wer glaubt, dass Mutti nichts davon wusste, was ihre drei Buben da trieben, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann.“
Staudte weiter: „Zu welchem Zweck, wenn nicht zu seinem Vorteil, hätte der RWE-Chef den Brief schreiben sollen? Um sich selbst und seinen Aktionären zu schaden? Wohl kaum. Dieser Skandal muss aufgeklärt werden und zwar nicht nur in Hessen, da gibt es ja schon einen Untersuchungsausschuss zu Biblis, sondern auch im Bund. Das ist ureigenes, niedersächsisches Interesse. Hier deutet alles darauf hin, dass es sich bei der Amtsführung nicht um eine Amtsaufsicht gehandelt hat, sondern um ideologischen Amtsmissbrauch“.
In den Augen der atompolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting Uhl, ist „diese Nähe zwischen Politik und Energiekonzernen, um den Steuerzahler um sein Geld zu bringen, unglaublich empörend.“ Ihre Fraktion prüft einen Untersuchungsausschuss. Dort müssten dann Bouffier und die Bundesregierung, Pofalla und Großmann aussagen, was sie auf Monitor-Anfragen, so die WDR-Mitteilung, veweigert hätten.
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