„Im Großen und Ganzen stimmen simulierte Trends und Beobachtungen gut überein“
Um die rätselhafte Diskrepanz zwischen den Modellsimulationen und den Beobachtungen aufzuklären, gehen Jochem Marotzke und Piers M. Forster in zwei Schritten vor. Zunächst vergleichen sie simulierte und beobachtete Temperaturtrends für jeweils 15 Jahre seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie betrachten also für jedes der Jahre von 1900 bis 1998, welche Temperaturentwicklung die 114 verfügbaren Modelle für die darauffolgenden 15 Jahre berechnen. Die Ergebnisse vergleichen sie mit Messungen, wie die Temperatur tatsächlich stieg oder sank. Indem sie die globale Durchschnittstemperatur und andere Klimagrößen der Vergangenheit simulieren und die Resultate mit Beobachtungen vergleichen, überprüfen Klimaforscher, ob ihre Modelle die Wirklichkeit zuverlässig erfassen. Liegen die Simulationen einigermaßen richtig, können sie auch brauchbare Vorhersagen für die Zukunft liefern.
Dem Vergleich halten die 114 Modellrechnungen stand, vor allem als Ensemble erfassen sie die Wirklichkeit ziemlich gut: „Im Großen und Ganzen stimmen die simulierten Trends mit den Beobachtungen überein“, sagt Jochem Marotzke. Dabei liegen die pessimistischste und die optimistischste Prognose eines Jahres für die Erwärmung in den jeweils 15 folgenden Jahren meist etwa 0,3 Grad Celsius auseinander, das Gros sagt jedoch einen Temperaturanstieg etwa in der Mitte zwischen den beiden Extremen vorher. Die beobachteten Trends bewegen sich einmal an der oberen, ein andermal an der unteren Grenze und oft auch in der Mitte der Trends, die das Ensemble der Simulationen möglich erscheinen lässt. „Vor allem erscheinen die beobachteten Trends verglichen mit den Simulationen nicht in erkennbar bevorzugter Weise“, erklärt Marotzke. Täten sie das, läge ein systematischer Fehler in den Modellen nahe.
Kein physikalischer Grund erklärt die Streuung der Prognosen
In einem zweiten Schritt analysierten die beiden Wissenschaftler nun, warum die Simulationen zu recht unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Aus dieser Analyse ließ sich auch schließen, warum alle Prognosen für die vergangenen 15 Jahre von der tatsächlichen Entwicklung abwichen. Dafür kommen die zufälligen Schwankungen sowie drei physikalische Gründe in Frage:
- Die Modelle kalkulieren mit unterschiedlich viel Strahlungsenergie, die von der Sonne auf die Erdoberfläche trifft und durch den Treibhauseffekt etwa des Kohlendioxids auf der Erde gespeichert wird.
- Sie reagieren in ihren Prognosen aber auch unterschiedlich empfindlich, wenn sich dieser Strahlungsantrieb verändert, wenn sich also etwa der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre verdoppelt. Das heißt, die Modelle setzen den Anteil der Energie, die zu einer Erwärmung der Erdoberfläche führen, und den Anteil, der über kurz oder lang wieder ins Weltall abgestrahlt wird, unterschiedlich hoch an.
- Schließlich lassen alle Klimamodelle unterschiedlich viel der auf der Erde gespeicherten Energie in die Tiefen der Ozeane, einen gigantischen Wärmespeicher, abfließen.
Mithilfe eines statistischen Verfahrens sortierten Marotzke und Forster die Beiträge der einzelnen Faktoren auseinander, und fanden: Keiner der physikalischen Gründe erklärt die Streuung der Prognosen und die Abweichung von den Messungen, der Zufall dagegen sehr wohl. Mit ihrer Analyse entkräften die Autoren vor allem den Vorwurf, die Modelle reagierten zu empfindlich auf eine Erhöhung der Kohlendioxid-Konzentration: „Sollte eine zu große Empfindlichkeit der Modelle der Grund sein, warum die Modelle für die vergangenen 15 Jahre einen zu großen Temperaturtrend berechneten, müssten die Modelle, die von einer hohen Empfindlichkeit ausgehen, einen größeren Temperaturtrend berechnen als die anderen“, sagt Piers Forster. Tun sie aber nicht. Und das, obwohl manche mit einer dreimal höheren Empfindlichkeit rechnen als andere.
Die Erde wird sich weiter aufheizen
„Die unterschiedliche Empfindlichkeit erklärt eigentlich gar nichts“, sagt Jochem Marotzke. „Das habe ich erst geglaubt, nachdem ich die Daten hinter unseren Grafiken intensiv studiert hatte.“ Bislang gingen die Klimaforscher selbst davon aus, dass ihre Modelle unterschiedliche Temperaturanstiege simulieren, weil sie unterschiedlich empfindlich auf das Mehr an Sonnenenergie in der Atmosphäre reagieren. Dass dem nicht so ist, wird die Gemeinde der Klimaforscher einerseits erleichtert aufnehmen, andererseits aber vielleicht auch mit einer leisen Enttäuschung. Nun können sie nämlich an keiner Schraube drehen, um die Vorhersagen ihrer Modelle noch präziser zu machen – der Zufall hat keine.
Und unabhängig von ihrem Anspruch als Wissenschaftler dürften sie noch einen Grund haben, auf die Studie mit gemischten Gefühlen zu reagieren. Sie gibt nämlich keine Entwarnung: Klimaforscher liegen mit ihren Vorhersagen ziemlich richtig. Das heißt: Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird sich die Erde weiter aufheizen – mit Folgen vor allem für Entwicklungsländer, die wir heute erst erahnen können. (PH)
->Quelle: mpg.de