Künstliche CO2-Senken: Der Purgiernuss-Vorschlag
Um die Anforderungen an die Skalierung der CO2-Reduktion im Verhältnis zum Klimawandel zu beschreiben, soll ein Vorschlag7, der zu einer Kontroverse in der Literatur geführt hat, nachgezeichnet werden. Gegenwärtig emittieren wir global etwa 10 Gt C pro Jahr als CO2. Davon nimmt die Erde in ihren natürlichen Puffersystemen etwa 5 Gt pro Jahr auf. Die andere in die Atmosphäre emittierte Hälfte führt zu einem Anstieg von etwa 2 ppm CO2 pro Jahr. Dadurch erhöhte sich der CO2– Gehalt der Atmosphäre von 280 ppm vor der industriellen Revolution auf 380 ppm etwa heute. Es wurde die Idee publiziert, den Anstieg von 2 ppm durch eine künstliche Senke zu eliminieren und damit den CO2-Gehalt zu stabilisieren. Dazu wurde vorgeschlagen, eine Fläche etwa der Größe Australiens mit anspruchslosen Pflanzen aufzuforsten, die auf Böden gedeihen, welche sich nicht zur Nahrungsmittelproduktion eignen. Verwendet man die Purgiernuss dazu, so kann man 4,6 Gt/Jahr CO2 binden, wenn es keine negativen biologischen Folgen gibt, die aus der Züchtung derartig vieler Pflanzen einer Sorte resultieren.
Dieser Prozess wäre eine CO2-Reduktion auf biologisch-chemischem Weg. Leider erreicht man damit nicht den gewünschten Effekt. Wie eine Modellrechnung zeigte,8 löscht die Dynamik der CO2-Emission den unmittelbaren Einspareffekt schnell wieder aus, so dass sich im Jahr 2030 eine CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 420 ppm ergäbe, während ohne diese gewaltige Anstrengung eine Konzentration von 450 ppm erwartet wird. Zudem müssen wir in solch einem Szenario auch noch sicherstellen, dass der gebundene Kohlenstoff nach dem Absterben der Bäume nicht wieder in die Atmosphäre gelangt, wozu die Bereitstellung weiterer Energie benötigt würde, die am Effekt der CO2-Reduktion nagt.
Wir erkennen, dass selbst mit solchen riesigen Anstrengungen zur Beschränkung der Folgen einer CO2-Emission noch kein wesentlicher Effekt für das Klima erzielt werden kann, wenn es nicht gelingt, die Dynamik der CO2-Emission zu bekämpfen: Vordringlich ist es, den Anstieg der Emission zu verhindern.
Gibt es eine Chance, mit CCU zu diesem Ziel beizutragen? Die Antwort lautet nein, da es in erster Näherung nicht darauf ankommt, auf welchem Weg die Reduktion erzielt wurde. Nehmen wir trotzdem an, dass nach der Methode power-to-gas weltweit aus 4,6 Gt/a CO2 Methan hergestellt werden soll. Die Reaktionsgleichung
CO2 + 4H2 -> CH4 + 2H2O (1)
lässt uns berechnen, dass dazu pro Jahr 3,06 Gt Wasserstoff erforderlich sind, zu dessen Herstellung wir etwa 15 000 TWh elektrischen Strom benötigen würden, wenn wir die derzeitige Technologie der Elektrolyse einsetzen würden. Diese Strommenge entspricht fast der gesamten Weltproduktion von Strom, die derzeit etwa 21 000 TWh beträgt und überwiegend aus fossilen Quellen kommt. Selbst wenn wir es schaffen würden, die überwiegende Menge der Stromerzeugung auf regenative Quellen umzustellen, erkennen wir, dass dies unmöglich aufgehen kann. Dennoch würde es allenfalls einen begrenzten Effekt auf die globale CO2-Problematik haben.
Daraus folgt: Die Klimaproblematik kann nicht allein durch CCU, sondern muss durch einen systemischen Ansatz gelöst werden, der das Problem der nicht geschlossenen Stoffkreisläufe ursächlich angeht. Konzepte des „Geo-engineering“ sind mit größter Vorsicht zu betrachten, da selbst bei ihrer gewaltigen Dimension nicht klar ist, ob sie die gewünschte Wirkung entfalten und welche negativen Folgen sich aus einer punktuellen Heilung eines Symptoms der Klimaproblematik ergeben.
Die chemische CO2-Reduktion ist also kein unmittelbar wirkendes Mittel zur Dämpfung der Klimaänderung. Dies bedeutet aber nicht, dass sie kein zentraler Baustein in einem systemischen Ansatz zur Bildung eines nachhaltigen Energiesystems sein kann. Wir definieren „nachhaltig“ hier in unvollständiger Weise als ein System mit geschlossenen Stoffkreisläufen, wie in Abbildung 1B angedeutet. Dabei betrachten wir die Moleküle Wasser und Sauerstoff als nicht relevant für menschliche Einflüsse auf die Erde.
Die Reduktion von CO2 als CEC wird einen entscheidenden Beitrag zu leisten haben, um uns mit stofflichen Energieträgern mit hoher Energiedichte zu versorgen. Dies erfordert eine Skalierung in den 100-Megatonnenmaßstab, was deutlich kleiner als im oben angenommenen Beispiel, aber immer noch groß im Vergleich zu den heutigen Prozessen der chemischen und petrochemischen Industrie ist. Damit wandelt sich die Motivation für die Reduktion von CO2 weg von einer unmittelbaren Lösung der Klimaproblematik hin zu einer Unterstützungsfunktion nachhaltiger Energiesysteme. Dies hat vielfältige Folgen für Forschung und Entwicklung und setzt andere Rahmenbedingungen für die systemische Bewertung von Prozessen und Kosten. Beispielsweise ist es unter dieser Betrachtung nicht vorrangig notwendig, Verfahren zur Filterung von CO2 aus der Atmosphäre zu entwickeln, da wir über völlig ausreichende Punktquellen von CO2 verfügen. Weiter ist es fraglich, ob man mit Mitteln der Biologie CO2 reduzieren und Kohlenstoff über Biomasse aus der Atmosphäre ziehen soll. Solches „carbon farming“ wird einen begrenzten Nettoeffekt haben; hingegen dürften die Folgen für konkrete Ökosysteme besonders auf längere Zeiträume hin schwer abschätzbar sein.
Eindeutig erforderlich ist es, den weiteren Anstieg von CO2-Emissionsraten schnellstmöglich zu reduzieren. Dazu bedarf es verknüpfter Maßnahmen über das gesamte Energiesystem hinweg; sie sind aufgrund eines funktionalen Verständnisses zu definieren. Dagegen sollten punktuelle Maßnahmen wie die chemische Reduktion von CO2 als CCU, die ressourcenintensiv sind, aber nur begrenzte Wirkungen hervorbringen, unterlassen werden; denn deren Umsetzung vergeudet das wertvollste Gut, das wir für den Umbau des Energiesystems haben: nämlich die Einsicht und Kooperation der Betroffenen.