Systemische Aspekte der CO2-Reduktion
Die chemische Reduktion von CO2 als Methode der stofflichen Speicherung von solarer Energie wird benötigt, um fossile stoffliche Energieträger dort zu ersetzen, wo elektrische Energie nicht oder nur ungünstig zum Einsatz kommen kann. Damit übernimmt Kohlenstoff die Rolle eines Speichermediums für regenerative Energie, die in Form von Wasserstoff bei der CO2-Reduktion chemisch gebunden wird. Dies ist exakt dasselbe Schema der Energiespeicherung, das die Natur anwendet. In der Natur sind Zucker und ihre Polymere wesentliche Speicherstoffe, während wir derzeit in der Technik reine Kohlenwasserstoffe als Speicherform bevorzugen, damit sie mit den fossilen Speicherstoffen kompatibel sind.
Mit diesem Ansatz widersprechen wir dem Konzept einer „Dekarbonisierung“ unserer Energiesysteme. Dies ist allerdings ein formales Argument, da ein Energiesystem nach Abbildung 1B einen wesentlich geringeren Umsatz von stofflichen Energiespeichern hat als unsere heutigen Systeme nach Abbildung 1A und somit die Vorstellung der Dekarbonisierung teilweise erfüllt ist. Allerdings ist die radikale Form der Dekarbonisierung, die manchmal politisch gefordert wird, aus chemischer Sicht unrealistisch. Einerseits werden wir immer hochenergetische stoffliche Energiespeicher benötigen; andererseits besteht der überwiegende Teil der Produkte der chemischen Industrie, ohne die unsere gesamte Technologie nicht funktionieren kann, aus kohlenstoffbasierten Strukturen.
Parallel zur Verknüpfung von Oxidation und Wiederverwendung geht der Versuch, durch Sonnenlicht in Anlehnung an die Photosynthese9 ein künstliches Blatt zu konstruieren.10 das ohne die Umwege der systemischen Einbindung (siehe Abbildungen 1B und 2) direkt „solare“ Energieträger erzeugt. Oftmals wird dieser Weg der CO2-Reduktion als Konkurrenz zum systemischen Weg gesehen. Chemisch betrachtet ist das allerdings nicht der Fall. Die zentralen Einzelschritte der Reduktion sind in beiden Verfahren identisch, lediglich ihre Verkopplung geschieht beim künstlichen Blatt in einer einzelnen funktionalen Struktur. Im systemischen Weg ist sie hingegen in Einzelprozesse aufgespalten, welche eine flexible Nutzung jedes Einzelschrittes im Gesamtenergiesystem ermöglichen. Das künstliche Blatt wiederum weist als zentralen Vorteil die systemische Einfachheit der Bereitstellung eines Energieträgers direkt aus Sonne, Wasser und CO2 mit einer einzigen Struktur auf.
[note Abbildung 2: Sehr vereinfachtes Schaubild eines Energiesystems mit den Hauptformen der Nutzenergie (blau), den mögliche Einspeisungen aus erneuerbaren Quellen (grün) und dem Prozess der CO2-Reduktion als Speicherform für erneuerbare Energie (rot). CEC steht für „chemische Energiekonversion oder chemical energy conversion“, EE für Erneuerbare Energien. Die Prozesse der Oxidation und der CEC dienen der Gewinnung freier Energie und der Speicherung volatiler Energie in stofflichen Energiespeichern.]
Diese Strukturen11 können entweder Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff (Gleichung 2) spalten, oder sie können CO2 direkt zu sauerstoffhaltigen Kohlenwasserstoffen (Oxigenaten) nach Gleichung 3 reduzieren.
Man benutzt dazu sogenannte Tandem-Anordnungen, in denen jeweils zwei unterschiedliche Lichtabsorber die benötigten Ladungsträger in photochemischen Halbzellen bereitstellen. Nach diesem schon lange bekannten Prinzip11 funktionieren auch die heute verfolgten nanostrukturierten Systeme10c der künstlichen Blätter. Die Natur geht den Weg nach Gleichung 3; thermodynamisch ist er gleichwertig mit der Wasserspaltung, wie aus den Werten des Normalpotenzials hervorgeht.
Sie vermeidet damit das Entstehen von gasförmigem Wasserstoff, der vielfältige Probleme mit sich bringt. Allerdings ist die praktische Umsetzung der Gleichung 3 enorm komplex. Zudem eignen sich „oligomere Alkohole“ wie Zucker aufgrund ihrer chemischen Struktur nicht als Energieträger für unsere technischen Anwendungen und sind wegen des Sauerstoffgehaltes auch nicht besonders energiereich.
2H2O + 8hv -> 2H2 + O2 (E0 = 1.23 V) (2)
H2O + CO2 + 8hv -> 1/6 {C6H12O6} + O2 (E0 = 1.24 V) (3)
Technologisch ist das künstliche Blatt noch weiter von einer Realisation entfernt als die Kombination der Einzelschritte in einem systemischen Aufbau. Das liegt vor allem an der Notwendigkeit, vielfache Grenzflächenprozesse und Materialfragen in einer einzigen Struktur zu verstehen und zu optimieren. Im systemischen Fall wird dies entkoppelt und kann einzeln optimiert werden. In jedem Fall benötigen wir beide Ansätze; aus Sicht des Autors gibt es absolut keine Konkurrenz dieser Wege. Vielmehr sollte man versuchen, möglichst viele Einsichten zwischen den Wegen auszutauschen; dies wird zunehmend auch von der wissenschaftlichen Fachgemeinde so gesehen, was sich unter anderem in entsprechenden Konferenzformaten ausdrückt. Zentrale Desiderate der zugrunde liegenden Wissenschaften sind die funktionale Analyse arbeitender Grenzflächen bei der Wasserspaltung und in der CO2-Reduktion sowie die Fortentwicklung der anorganischen Chemie in Synthese und Kenntnis der Eigenschaften der wesentlichen oxidischen Materialien, die zum Bau der komplexen Systeme verwendet werden. Dies ist sehr gut gelöst für das Element Silizium,10b, 10c das als Ladungstrenner das Sonnenlicht in elektrischen Strom verwandelt. Für alle anderen Materialien ist dies allerdings weit weniger gut bekannt, und wir verfügen auch nur ansatzweise über entwickelte Verfahren für die reproduzierbare Materialsynthese.
In Abbildung 2 wurde das Teilsystem Mobilität ausgeklammert. Es stellt für sich ein komplexes Teilsystem aus unterschiedlichen und weit entwickelten Technologien dar. Abbildung 3 gibt einen Überblick über Traktionssysteme. Dabei wird nicht zwischen Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen unterschieden, obgleich diese Mobilitätssysteme unterschiedliche Anforderungen an ihre Antriebe stellen. Daher wird es voraussichtlich immer eine Mischung von Technologien geben, etwa wie in Abbildung 3 dargestellt.
Folgt: Für Mobilität große Mengen solarer Treibstoffe durch CO2-Reduktion nötig