Risse in Druckbehälter bei AKW-Neubau in Frankreich

GLOBAL 2000 fordert Stilllegung von Reaktoren mit erwiesenen Rissen

Wie die französische Nuklearaufsicht Autorité de Sûreté Nucléaire ASN am 07.04.2015 auf ihrer Website veröffentlichte, sind im Reaktordruckbehälter des Atom-Neubaus Flamanville-3 Risse und Kohlenstoff-Einschlüsse („Anomalie“) gefunden worden, wie sie zuletzt bei den mittlerweile zur Sicherheit vom Netz genommenen belgischen Reaktoren Doel-3 und Tihange-2 festgestellt wurden.

Die Newsplattform format.at schreibt dazu: „Ein Behördenverantwortlicher sagte, das Problem liege in der Zusammensetzung des Stahls in bestimmten Bereichen des Behälterdeckels und des Bodens.“ Der Schweizer Umwelt-Aktivist  Guntram Rehsche auf Solarmedia 2015: „Die französische Presse mutmasst irreparable Schäden, während sich die sonstige Atomwelt bedeckt hält. Möglicherweise ist das ein weiterer Sargnagel für die französische Atomsparte, die zuvor schon von massiven Finanzproblemen gebeutelt wurde. Es ist nicht der erste Schlag, den die französische Atomindustrie in diesen Monaten zu verkraften hat – aber vielleicht der folgenschwerste – mit Auswirkungen auf die Entwicklung des künftigen Atomkomplexes insgesamt, zumindest in der westlichen Welt. Für Frankreich selbst kommt erschwerend hinzu, dass plötzlich der Nutzen, ja schon die Überlegenheit, der erneuerbaren Energien wahrgenommen wird.“ Nun sollen bis Oktober Ergebnisse einer von Umweltministerin Segolene Royal veranlassten Untersuchung vorliegen.

Atomkraft rentiert sich nicht: Von 3,3 mit 5 Jahren Verzögerung auf 8,5 Mrd. Euro

Das französische Flamanville-3-AKW ist neben dem finnischen Projekt Olkiluoto-3 das „Vorzeigeprojekt“ für den Europäischen Druckwasserreaktor EPR des französischen Reaktorbauers Areva, das von Anbeginn an in massive technische und finanzielle Schwierigkeiten geriet (vor Monatsfrist hatte Areva einen Jahresverlust von nahezu fünf Milliarden Euro kommuniziert)– und jetzt trotzdem für das britische Atom-Projekt Hinkley Point C vorgesehen ist. Der französische Reaktor sollte 2012 zum Preis von 3,3 Milliarden Euro fertig gestellt werden – derzeit wird jedoch schon mit einer Verzögerung von 5 Jahren und einer Kostenüberschreitung von 5,2 Milliarden auf insgesamt 8,5 Milliarden Euro gerechnet. Eine Vielzahl von Baumängeln wurden am Projekt festgestellt: So hatten tragende Betonpfeiler Löcher, die Wände des Abklingbeckens für die Brennelemente waren fehlerhaft, mindestens ein Viertel der Verbindungen der Stahlauskleidung des äußeren Containments entsprach nicht dem vorgeschriebenen Standard und Risse im Beton-Fundament der Anlage führten zu einem mehrmonatigen Baustopp.

„Unverantwortlich, völliger Wahnsinn“

Dr. Reinhard Uhrig, Atomsprecher der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000: „Die französische Atomaufsicht berichtet von einer Anomalie in der Zusammensetzung des Stahls in Teilen des Deckels und dem unteren Bereich des Reaktorbehälters des Flamanville-AKW. Nun sollen mit Vergleichstests die genaue Lage der Anomalie und die mechanische Stärke des Stahles analysiert werden. Der Reaktordruckbehälter eines Druckwasserreaktors ist besonders wichtig für die Sicherheit des Atomkraftwerks: Er enthält den Nuklearbrennstoff und hält als erste Barriere den Austritt von radioaktiver Spaltprodukten auf – was beim Versagen eines Druckbehälters passiert, hat sich bei den Kernschmelzen im japanischen Fukushima gezeigt. Es ist unverantwortlich, Reaktoren mit Rissen im Druckbehälter weiter zu betreiben – und es ist völliger Wahnsinn, neue Reaktoren mit erwiesenen Rissen in Betrieb zu nehmen.“

Risse auch in belgischen AKW

In den beiden belgischen Reaktoren Doel-3 und Tihange-2 wurden erstmals 2012 bei Ultraschall-Untersuchungen Risse im Reaktordruckbehälter festgestellt, die auf Baumängel hinweisen. Aufgrund von neuen Tests im Jahr 2014 stellte die belgische Nuklearaufsicht FANC sogar noch mehr Risse fest, 13.047 Risse im Druckbehälter von Doel-3, 3.149 Risse in Tihange 2. Diese wurden in Folge vorsorglich vom Netz genommen.

„Wir fordern die sofortige Überprüfung der Reaktordruckbehälter aller in der EU laufenden Atomreaktoren auf Risse und Kohlenstoff-Einschlüsse im Stahl. Ohne diese Analyse und eine fundierte Studie zu Auswirkungen auf die Festigkeit des unter höchstem Druck und thermischer Belastung stehenden Druckbehälters Atomkraftwerke weiter zu betreiben, ist ein fahrlässiges Spiel mit dem Super-GAU“, so Uhrig abschließend.

Die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 fordert seit Jahren ein Ende des Atomzeitalters für die Stromerzeugung, unter anderem in der von 650.000 Menschen europaweit unterstützten Kampagne „Abschalten! Jetzt!“, und ein Umschalten auf Effizienz und erneuerbare Energieträger.

[note: Fatal erscheint laut Tageswoche eine Verknüpfung mit dem maroden AKW Fessenheim am Rhein: „Vieles hängt dabei vom neuen Druckwasserreaktor im Kernkraftwerk Flamanville in der Normandie ab. Kommt dieser in Betrieb, wird als Kompensation ein anderes geschlossen.“ Dieses wäre höchstwahrscheinlich Fessenheim. Umgekehrt heißt das auch – wenn Flamanville noch lange nicht oder vielleicht nie in Betrieb geht, dann wird Fessenheim um so länger laufen. (Guntram Rehsche)]

Nicht umsonst rechnen gerade jetzt in Frankreich Studien vor, dass Erneuerbaren Energien günstiger als Atomkraft sind (z.B. Le Monde, 09.04.2015). Darin heißt es, Frankreich könne bis 2050 seinen Strom vollständig aus Erneuerbaren Quellen beziehen, dann zwar um rund ein Drittel teurer als heute – nur, dass diese Verteuerung genau so zu gewärtigen sei, wenn das Land weiterhin auf Atomkraft setzte. Die Kostenexplosion samt Verzögerung von Flamanville-3 zeigt Folgen.

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