Deutschlands Glaubwürdigkeit als Klima-Vorreiter steht in Frage
Bertram: Der Emissionshandel in der EU führt heute dazu, dass besonders sauberes Verhalten Einzelner die Verschmutzungsrechte für andere billiger macht. Dies reduziert die Wirksamkeit von zusätzlichem freiwilligem Engagement von Privatpersonen, aber auch von einzelnen Mitgliedstaaten. Wollen Sie hier nachsteuern, zum Beispiel durch die Einführung einer Preisuntergrenze?
Merkel: Wir haben jetzt ja gerade mit ziemlichem Aufwand, aber – wie ich finde – doch recht erfolgreich den Emissionshandel in der Europäischen Union verändert. Und das wird auch vor 2020 in Kraft treten, also 2019. Das ist für uns in Deutschland sehr, sehr wichtig, denn wir haben – wie Sie es auch angedeutet haben – im Augenblick nicht das richtige Preissignal. Warum haben wir nicht das richtige Preissignal? Weil man im Grunde von Wirtschaftswachstumsraten ausgegangen ist, die so nicht eingetreten sind. Und jetzt haben wir zu viele CO2-Zertifikate im Markt. Und deshalb muss ein Mechanismus gefunden werden, der auch auf Dauer sicherstellt, dass Wirtschaftswachstum und die Verfügbarkeit der Zertifikate in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Es müssen also Zertifikate rausgenommen werden, dann wird der Preis steigen; wir haben jetzt schon eine leichte Preissteigerung gehabt, als wir gesehen haben, dass die Europäische Union handelt. Dann wird auch wieder der Innovationsdruck steigen, und dazu ist das System ja eingeführt worden. Um aber auf Ihre erste Frage zurückzukommen: Besonders wirksam wäre das ganze Instrumentarium natürlich dann, wenn wir es auch über Europa hinaus einführen könnten, weil wir dann auch weltweit gleiche Rahmenbedingungen hätten. Und das würde es uns auch ermöglichen, den Zertifikate-Handel – auch in Europa – noch auf weitere Bereiche auszuweiten.
Bertram: Klimaschutz dient dazu, Klimaschäden in der Zukunft zu vermeiden. Wie schaffen Sie es, die persönlichen Bedürfnisse zukünftiger Generationen in die Abwägung von Handlungsoptionen einzubeziehen? Oder fallen diese Bedürfnisse nicht unter das „Wohl des deutschen Volkes“, für das Sie Ihre Kraft einsetzen?
Merkel: Natürlich fällt auch die Zukunft unter dieses „Wohl des deutschen Volkes“. Die Gegenwart kann nicht vergessen werden, aber die Zukunft muss im Blick gehalten werden, zumal wir ja hier auch Entscheidungen treffen; wir haben eben über das Jahr 2019 gesprochen, über das Jahr 2020 gesprochen, wir haben Klimaschutzziele für das Jahr 2030, für das Jahr 2050. Wir müssen schauen: Die beste Zukunftsvorsorge wäre Klarheit über die Ziele für die nächsten Jahre, das heißt, ein erfolgreicher Abschluss der Pariser Konferenz. Und das bedeutet: Alle müssten ihre nationalen Ziele klar definieren, möglichst auch anspruchsvoll, denn wir wollen ja das Zwei-Grad-Ziel erreichen. Und gleichzeitig brauchen wir ein Finanzierungsinstrument. Ansonsten werden die Entwicklungsländer und auch die vom Klimawandel besonders betroffenen Länder nicht einer Verabredung zustimmen. Für diese Finanzierungskonferenz findet dann in Addis Abeba im Juli die entscheidende Konferenz statt. Also, ich muss heute dafür Sorge tragen, dass die Entscheidungen schon für morgen vorbereitet und gefällt werden. Und damit ist dann auch der Klimaschutz Teil unserer gesamten Nachhaltigkeitsstrategie.
Bertram: Deutschlands Glaubwürdigkeit als Klima-Vorreiter hat gelitten, etwa weil die Bundesregierung bei den EU-Zielen für den Verkehrssektor gebremst hat. Beim Ausbau der Photovoltaik verfehlt Deutschland seine Ziele gerade jetzt, wo die Technologie günstig geworden ist, und die Braunkohleverstromung boomt. Was tun Sie, damit die Energiewende in allen Sektoren gelingt und Deutschland so international ein Signal aussendet?
Merkel: Also, ich könnte auch positive Beispiele aufzählen: Wir haben im vergangenen Jahr wieder mehr Wind-Energie ausgebaut, als wir eigentlich wollten. Wir haben bei der Solarenergie einen hohen Bestand an Solarkraftwerken – und wenn man mal überlegt, dass das die 30 GW schon überschritten hat, dann ist das in den letzten Jahren schon ein Boom gewesen, den wir so auch nicht fortsetzen konnten. Der Verkehrsbereich ist interessant, den Sie ansprechen. Wir haben den Verkehrsbereich nicht im Emissionshandel, das heißt, wir gehen über Ordnungsrecht vor. Und hier gibt es immer eine harte Diskussion innerhalb der europäischen Länder. Weil natürlich Einige Autos bauen und Andere haben keine Automobilindustrie. Und es lässt sich natürlich leichter ein Ziel setzen, wenn ich sozusagen nicht mit einer Industrie konfrontiert bin, die auch hier zur Wertschöpfung beiträgt. Und hier müssen wir immer abwägen: Hat Europa dann noch gute Chancen auf den internationalen Märkten, oder werden woanders vielleicht Autos gebaut, die längst nicht solche Klimaziele erfüllen? Und ich finde, wir haben hier – obwohl wir auch Kompromisse machen mussten – einen guten Weg gefunden. Und deshalb kann ich nicht sehen, dass wir im Verkehrssektor bremsen, sondern dass wir – wie ich finde – dort realistisch sind und auch schauen, dass wir weltweit in der Automobilindustrie nicht völlig abgehängt werden. Und wenn Sie mal schauen, worüber wir heute sprechen an CO2-Emissionen, dann sieht man auch, was in den letzten Jahren an Reduktion von CO2-Emissionen in der gesamten Verkehrsflotte geschafft wurde.
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